Fremdplatziert

Heimerziehung in der Schweiz, 1940–1990

Gebunden
2018. 352 Seiten
ISBN 978-3-0340-1440-3
CHF 38.00 / EUR 38.00 
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Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurden Zehntausende Kinder und Jugendliche in der Schweiz von ihren Familien getrennt und in Pflegefamilien oder Heimen untergebracht. Über Generationen hinweg waren fremdplatzierte Kinder und Jugendliche einem Fürsorgeregime ausgesetzt, das auf physischer und symbolischer Gewalt beruhte. Die Aufarbeitung dieser Geschichte hat erst begonnen.

Der vorliegende Sammelband bietet erstmals einen gesamtschweizerisch und interdisziplinär angelegten, mehrdimensionalen Überblick über die Geschichte von Fremdplatzierung und Heimerziehung mit Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zur Sozialgeschichte der Schweiz.


Gisela Hauss (FHNW) ist Professorin an der Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften Nordwestschweiz am Institut Integration und Partizipation. Sie lehrt und forscht zur Geschichte von Jugendhilfe und Kinderschutz, zu Gender und sozialen Ungleichheiten. Sie ist Leiterin des vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Sinergia-Forschungsverbundes «Placing Children in Care. Child Welfare in Switzerland».


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ist Professor für Kindheit, Jugend und Familie und Leiter des Instituts für Kindheit, Jugend und Familie an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Er forscht zu Adoptionen, Kindesschutz, Heimerziehung und Pflegekinderwesen sowie der Geschichte der Kinder- und Jugendhilfe.


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Martin Lengwiler ist Professor für Neuere Allgemeine Geschichte am Departement Geschichte der Universität Basel. Seine Schwerpunkte liegen in der Geschichte des Sozialstaates, der modernen Wissenschaftsgeschichte sowie in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.


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Artikel
  • I. Erziehung und staatliches Handeln
  • Kinder- und Jugend­fürsorge in der Schweiz: Entstehung, Implementierung und Entwicklung (1900–1980)
    S. 29–52
  • Eingriffe in die Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Politischer und rechtlicher Kontext in der Westschweiz
    S. 53–76
  • «Gefährdete Mädchen» und «verhaltensauffällige Buben». Behördliche Fremdplatzierungspraxis in den Kantonen Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt und Zürich
    S. 77–100
  • Eltern – Kinder – Erziehungspersonal – Institutionen. Eine unmögliche Beziehung?
    S. 101–116
  • «Die wussten einfach, woher ich komme». Staatliche Eingriffe und ihre Auswirkungen auf das Leben ehemaliger Heimkinder
    S. 117–140
  • II. Pädagogik für das Heim – Ausbildung, Praxis und Theorie
  • Heimerziehung in der Schweiz. Denkfiguren und Entwicklungslinien
    S. 141–160
  • Die berufliche Tätigkeit im Heim. Kontext, Ausbildungsstätten und die Entstehung einer eigenständigen Berufsgruppe in der Westschweiz (1950–1980)
    S. 161–180
  • Die Bildung der «geeigneten Erzieherpersönlichkeit». Gründungen, Organisation und Konzeption der Schulen für Heimerziehung in der Deutschschweiz
    S. 181–194
  • Familie im Fokus. Heimerziehung in der Schweiz im 20. Jahrhundert
    S. 195–218
  • Die «neuen Praktikanten». Perspektiven auf sich verändernde Beziehungsformen im Heim der 1960er- und 1970er-Jahre
    S. 219–246
  • III. Das Heimkind – Gegenstand der Betrachtung und Subjekt der eigenen Biografie
  • Heimerziehung. Effekte auf den Lebensverlauf
    S. 247–252
  • «Legitimieren» und «integrieren». Die Auswirkungen von Heimerfahrungen auf den weiteren Lebensverlauf
    S. 253–272
  • Behördliche Einflussnahme auf den Übergang Jugendlicher ins Erwachsenenalter im Kanton Zürich (1950–1980)
    S. 273–286
  • Übergänge ins Leben nach der Heimerziehung. Individuelle und professionelle Perspektiven
    S. 287–306
  • Die sukzessive Durchsetzung bürgerlicher Kindheitsmuster im Fachdiskurs Heimerziehung
    S. 307–324
  • Erinnern – gedenken – bezeugen. Zur Rolle des Erzählens in Prozessen gesellschaftlicher Gedächtnisbildung
    S. 325–339
  • Kindheit im Fokus von Staat, normativer Erziehung und fachlicher Expertise. Zusammenfassende Überlegungen
    S. 339–346

Pressestimmen

«Einführend skizzieren die Herausgeber*innen den Forschungsstand; schon hier wird die Absicht deutlich, vorhandene Befunde zu Fremdplatzierungen und fürsorgerischen Zwangsmassnahmen in der Schweiz für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht nur zu erläutern, sondern durch Differenzierung und Ordnung zugleich die Perspektive zu erweitern, und dies sowohl für die sozialpädagogische Fachgeschichte als auch für die schweizerische Sozialgeschichte. [...] Ein hoher Anspruch, der, soviel kann schon gesagt werden, ausgesprochen gelungen bearbeitet ist. Neben den fundiert recherchierten Beiträgen des Buches, gut lesbar in der Spannung von Konkretheit und Abstraktion, sind es die in den Einführungen auch der drei Hauptkapitel jeweils plausibel vorgestellten Perspektiven auf ein ‹Ganzes› der Fremdplatzierung, die diesen Ertrag für die Leser eröffnen. [...] Der Titel ‹Fremdplatziert› benennt klar den Eingriff in die Lebenssituation und den Lebenslauf und weniger den Ort oder das Programm. Damit wird eine Perspektive auf den Gegenstand Heimerziehung gewählt, die ebenso distanziert Analyse ermöglicht wie respektvolle Annäherung an die Beteiligten und Akteure dieser Zuweisung von Plätzen in der Fremde. Eine Balance, die in den Beiträgen dieses Buches immer wieder mit beeindruckender Sorgfalt gelingt. Die Beiträge sind durch die Bank sprachlich präzise und verständlich, basieren vor allem aber auf gründlicher und systematischer Quellenarbeit. Ein gelungenes, gut lesbares und für die weitere Forschungen anregendes Buch – nicht nur für die Schweiz!»

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70/3 (2020), Christian Schrapper

Sammelrezension:

«Der Fokus der drei Bände liegt – wie die Herausgeberinnen und Herausgeber in den Einleitungen darlegen – darauf, den Forschungsstand zur Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen abzubilden, diese Forschung um einzelne Aspekte zu erweitern und damit gleichzeitig die Basis für aktuelle und künftige Forschungsprojekte zu festigen. Letzteres äußert sich auch darin, dass mehrere Autorinnen und Autoren in ihren Beiträgen Forschungsdesiderate herausarbeiten.»

«Insgesamt arbeiten die hier besprochenen Sammelbände verschiedene Forschungsdesiderate zur Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen heraus und erweitern die historische Auseinandersetzung zu diesem Thema um einzelne bislang wenig beachtete Aspekte. Forschungsdesiderate betreffen etwa das Zusammenspiel von Bund, Kantonen und Kommunen im Bereich von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen und Fremdplatzierungen innerhalb der Schweiz sowie eine vergleichende Forschung zu diesem Bereich im internationalen Kontext. Als bislang wenig beachtete Aspekte sind insbesondere die Familie (unter anderem familiäre Verhältnisse der von Fremdplatzierung betroffenen Kinder, bürgerliche Familienvorstellungen) und die ökonomische Dimension von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen zu nennen. Des Weiteren verorten die Bände das Thema in einem größeren geschichtswissenschaftlichen Forschungszusammenhang (Geschichte des schweizerischen Sozialstaates, Psychiatriegeschichte). Sie schaffen damit eine ausgezeichnete Grundlage, auf der aktuelle und künftige Forschungsprojekte aufbauen können.»

Vollständige Rezension

H-Soz-Kult, 24. Februar 2020, Michèle Hofmann

«Mit ihrer jüngst erschienenen Studie ‹Fremdplatziert› legen Gisela Hauss, Thomas Gabriel und Martin Lengwiler einen konsequent multiperspektivisch wie interdisziplinär angelegten Forschungsaufriss zur Geschichte der Heimerziehung der Schweiz im 20. Jahrhundert vor, der nicht dokumentarisch ausgerichtet ist, sondern analytisch verfährt. [...] Die drei als sich überschneidende Achsen gedachten Kapitel des Buches thematisieren das Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Handeln und subjektivem Erleben, die Ausbildung, Praxis und Theorie der Pädagogik für das Heim sowie die Effekte der Institutionen auf die Lebensverläufe der Betroffenen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Beiträge vielfach ansonsten häufig vernachlässigte Aspekte der Heimerziehung zum Thema machen. So wird etwa der professionelle Blick auf die Eltern fremdplatzierter Kinder rekonstruiert. [...] Insgesamt macht dieses Buch die komplexen Zusammenhänge und Wirkfaktoren der Heimerziehung sichtbar, betont Ambivalenzen, Überlappungen und Ungleichzeitigkeiten von Diskursen, Organisationen und Biografien und sensibilisiert für blinde Flecken in der Forschung. Damit werden nicht nur gängige Denkmuster hinterfragt, sondern auch künftigen regionalen wie internationalen Projekten heuristische Kategorien an die Hand gegeben.»

Vollständige Rezension

sozial – Magazin der ZHAW Soziale Arbeit, Nr. 11 / Sommer 2019, Ulrich Leitner

«Zwei Sammelbände beleuchten gründlich die Geschichte der Heimerziehung und der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen in der Schweiz. [...] Der Band [Fremdplatziert] bringt mit seinen knapp 20 Beiträgen, die auf die Kantone Basel-Stadt, Appenzell Innerrhoden, Waadt und Zürich fokussieren, durchaus interessante Ergebnisse. [...] Auch neu sind die aufgrund von Interviews mit ehemaligen ‹Heimkindern› gewonnenen Einsichten in die nahezu lebenslange Prägung der Fremdplatzierung. Wer nicht über deren Gründe informiert wurde und keinen Kontakt mit den Eltern haben durfte, dem fällt es nicht leicht, je wieder Vertrauen zu Menschen zu fassen und ‹Unterstützungsangebote anzunehmen›».

Neue Zürcher Zeitung, 24. Januar 2019, Urs Hafner

Sammelrezension VPOD-Magazin - April 2019