Elektronisch erweiterte, limitierte und nummerierte Sonderausgabe
Der in dieser elektronisch erweiterten Sonderausgabe erscheinende Band des Collegium Helveticum versammelt unterschiedliche Perspektiven auf Zukunftsvisionen der Vergangenheit und Gegenwart. Im Zentrum stehen dabei Wissenschaft und Technik und ihre Wechselwirkungen mit unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Zeitkontexten.
Die Zukunft ist eine flüchtige Angelegenheit. Je mehr wir uns ihr nähern, desto weiter rückt sie von uns weg, und stets ist ihr die Gegenwart auf den Fersen, wie Achilles der Schildkröte. Die vorauseilende Repräsentation des (noch) nicht Verwirklichten stellt dabei auf die Erfahrung der Vergangenheit ab, die sich ihrerseits jedoch nie einfach extrapolieren lässt.
Bilder, sentimentale Assoziationen, empirische Fakten, Wahrscheinlichkeitsberechnungen und logische Schlüsse bestimmen die Konstruktion plausibler Zukünfte, die ihrerseits unsere Befindlichkeiten in der Gegenwart repräsentieren. Seinerzeit hochgehandelte wissenschaftlich-technische Prognosen und Visionen von gestern mögen uns heute so lächerlich vorkommen wie ein alter Sciencefiction-Film. Doch die Utopien und Szenarien von gestern haben sich in unsere Gegenwart eingeschrieben und wirken bei der Gestaltung der Zukunft mit. Nach solchen Wirkungen, Feedbacks und Projektionen gräbt die «Archäologie der Zukunft».
Der Band bietet Forschenden aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch Kulturschaffenden und Studierenden aus dem Gestaltungsbereich eine Plattform und erlaubt so eine pluralistische Sicht auf Wissenschaft, Zukunft und ihre wechselseitigen Beziehungen. Die einzelnen Artikel, Interview-Gespräche, Filmbesprechungen und gestalterischen Interventionen handeln von Science-fiction, Utopien und atastrophenszenarien, künstlicher Intelligenz, Arznei- und Lebensmitteltechnologien, Zeitmaschinen, Energie und anderen zukunftsträchtigen, mit Wissenschaft und Technik verbundenen Gegenständen.
Die Gestaltung reagiert auf die Thematik mit der These von einem Buch, das sich selbst, aus sich und seinen Inhalten heraus zu reflektieren, zu assoziieren und daraufhin mit der Leserschaft zu kommunizieren anfängt. In Zeichen, Worten und Bildern. Typografisch, thematisch, technisch. Althergebrachte Elemente werden mit neusten technischen Möglichkeiten zu einem designerischen Wurf verbunden. In Materialität, Farbigkeit, Typographie und Layout repräsentiert der Band gleichzeitig buchkünstlerische Traditionen und futuristische Originalität. So erinnern etwa der Satzspiegel und das Seidenleinen des Einbands an Gepflogenheiten um 1900, während der zwischen blau und schwarz oszillierende Typendruck und die thermochromatisch bedruckte Einbanddecke nie dagewesene Formen reflektieren. Die elektronisch unterstützte Sonderedition erweitert das Spiel interaktiv weiter. Sie ist eigenwillig und vielschichtig, assoziiert und erinnert sich, und sie betätigt sich als Orakel. Dank thermochromatischer Bedruckung zeitigt der Einband bei Erwärmung – durch Sensorimpulse auf der unterlegten Leiterplatte ausgelöst, durch Handauflegen oder wenn er in der Sonne liegt – Illuminationen, kryptische Visionen, Weissagungen, deren Vokabular wie Orakeldampf, ein Code-Streifen oder die Programmiersprache eines Betriebssystems auch durch das Buch zieht und seine Inhalte verbindet. Das Buch träumt, reflektiert und interveniert. Es geht mit seinen Nutzerinnen und Nutzern eine Beziehung ein, die ihre jeweils eigene Geschichte entwickelt.
Hard-Cover, kaschiert mit thermochromatisch bedruckter Seidenleinen, implementierter elektronischer Leiterplatte, Akku (ladbar über mitgeliefertes Kabel mit USB-Anschluss), Bewegungs- und Akustik-Sensoren.
Matthias Michel: Zukünfte, Diamanten, Doppelpunkte. Mitteilung über die Zeit in prophetischer Hinsicht
Ingolf U. Dalferth: Von der Gleichzeitigkeit zur Gegenwart
Dieter Imboden: Aus der Zukunft lässt sich nichts lernen?
Martina Merz: Simulation: Ein Zukunftsgenerator?
Beat Glogger: Fakten holen die Fiktion ins Leben
Rolf Pfeifer: Artificial Intelligence (Interview-Gespräch)
Jakob Tanner, Nicole Müller: Andrej Tarkovskijs «Solaris» (Statements)
Felicitas Pauss, Dominique Lämmli: George Pals: «Time Machine» (Statements)
David Gugerli, Dieter Imboden, Stefan Meisser: Energie (Interview-Gespräch)
Fritz Gutbrodt, Christoph Schuler: James Whales «Frankenstein» (Statements)
Elvan Kut, Nils Schaffner, Amrei Wittwer: Fantastic Voyage - eine Spurensuche
Gerd Folkers: Verwelkte Träume - erblühte Weisheit? Zur Alterung von wissenschaftlichen Ansätzen, Konzepten und Prognosen am Beispiel des «Rational» Drug Design
Georg Schönbächler, Boni Koller: Ridley Scotts «Blade Runner» (Statements)
Rainer Egloff: Millenarismus, Utopie, Katastrophenszenario und die Geburt der Soziologie als Universitätsfach in den USA um 1900
Andrew Abbott: Prozess und Zeitlichkeit in der Soziologie
Martin Lengwiler: Vorsorge als Rationalisierung? Wie das moderne Versicherungswesen unsere Zukunftsvorstellungen verändert hat
Angelus Eisinger: Bricolagen städtischer Zukunft seit 1920
Johannes Fehr: Ist da jemand?
Reinhard Nesper, Thomas Müllenbach: Stanley Kubricks «2001 - A Space Odyssey» (Statements)
Jørg Huber: Zukunft, Wissenschaft und Design (Interview-Gespräch)
Andreas Furler: Sciencefiction und Wissenschaft (Interview-Gespräch)
Simon Spiegel: Mit der Sprache der Technik. Wissenschaft und Sciencefiction-Film
Stephan Sigrist: From Fiction to Science. Radikale Food Trends im Spiegel von Visionen der Vergangenheit und als Fluchtpunkte einer möglichen Zukunft
Ulrike Felt: Zukunftsszenarien als wissenschaftliche Ressource?
Jörg Himmelreich: Von der Utopie zur gebauten Realität - und zurück. Zukunftsarchitekturen von Walt Disney
Ursula Pia Jauch, Frank Heer: Thomas Vinterbergs «It's All About Love» (Statements)
Cory Doctorow: Baut ein Gerät für eure Kunden! Ansprache an die Piratenbrüder von Microsoft
Matthias Michel: Goodbye Norma Jean (Reprise): Phänomenologischer Versuch zum Kinoapparat als Zeitbildmaschine
Das Collegium Helveticum wurde 1997 von der ETH Zürich als Forum für den Dialog zwischen den Wissenschaften gegründet. Damit soll das gegenseitige Verständnis zwischen den Natur- und Technikwissenschaften einerseits und den Geistes- und Sozialwissenschaften andererseits gefördert werden.