In der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurden über Jahrzehnte hinweg Psychopharmaka getestet. Dreh- und Angelpunkt dieser Versuche war der Psychiater Roland Kuhn, der mit diversen Pharmafirmen zusammenarbeitete. «Testfall Münsterlingen» untersucht, wie Industrie und Klinik, Patienten, Ärzte, Pflegepersonal und Behörden in der klinischen Forschung zusammenspielten. Die Stoffprüfungen werden historisiert und in die sich ebenfalls wandelnden Rahmenbedingungen eingeordnet.
Welche Personen und Institutionen waren beteiligt, wer wusste was? Wie wurden Stoffe geprüft, welche Patientinnen und Patienten waren betroffen? Nach welchen Mustern wurden die Prüfsubstanzen verabreicht? Wann galten welche Werte, Richt linien und Normen? Welche Rollespielten sie in der Praxis? Ausgehend von diesen Fragen rekonstruiert «Testfall Münsterlingen» die Geschichte klinischer Versuche von 1940 bis 1980 und verortet die Thurgauer ‹Versuchsstation› in der zeitgenössischen Prüfungslandschaft.
«Den Autor:innen dieser Studie ist durch die Hinzuziehung komplementierender Archivalien wie Krankenakten, Verwaltungsakten und auch Akten aus dem Archiv der pharmazeutischen Industrie gelungen, ein besonders facettenreiches Bild zu zeichnen. Weil sie nicht auf der rein aufdeckenden Ebene der Menschenversuche ohne Einwilligung verharren, gelingt ihnen eine ertragreiche Durchdringungstiefe des gesichteten Materials.»
«Die sorgfältig durchgeführte Studie verbindet einen chronologischen mit einem thematischen Aufbau. Die fünf Hauptkapitel verfolgen Kuhns Karriere als klinischer Prüfer und verorten seine Methoden im historischen Kontext. Thematische Schlaglichter auf die ProbandInnen (Kap. 3), fatale Zwischenfälle (Kap. 7) und Material- sowie Finanzflüsse zwischen den Basler Pharmafirmen und Münsterlingen (Kap. 5) ergänzen die bisweilen dichten Schilderungen in den chronologischen Kapiteln.»
«Marietta Meier [...], Mario König [...] und Magaly Tornay haben ein sorgfältig recherchiertes und nüchtern-sachliches Buch über Versuche mit nicht zugelassenen Medikamenten in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen in der Schweiz geschrieben. [...] Experimentiert worden war an Kindern, Erwachsenen (auch Pflegerinnen und Pflegern), ohne Aufklärung und Einwilligung der Betroffenen, teilweise unter gewaltsamer Verabreichung der Prüfsubstanzen, teilweise heimlich in Suppen oder den Kaffee gemischt, mit Wissen aller fachlichen und staatlichen Aufsichtsbehörden. [...] Kritische Stimmen zu den Psychopharmakaversuchen hätten sich in den eingesehen Quellenbeständen nicht gefunden, ‹nicht einmal aus der Ärzteschaft›. [...] Die über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten währenden Psychopharmakaversuche ordnet das Autorenteam ein in die sich im Laufe der Jahre verändernde Medizinethik. [...] Insgesamt besticht das Buch durch seine Detailliertheit, seine Unvoreingenommenheit und seinen sachlichen Ton.»
«Seit langem ist bekannt, dass in psychiatrischen Kliniken in der Schweiz nicht zugelassenen Medikamente an Patientinnen und Patienten getestet wurden. [...] Die vorliegende Studie [...] zeichnet ein ernüchterndes Bild: Unter der Leitung des Oberarztes und späteren Direktors – Kuhn – testete die Klinik von 1946 bis 1980 im Auftrag verschiedener Pharmaunternehmen mindestens 67 Stoffe an mindestens 1'112 Personen, darunter auch Kindern. [...] Die akribisch recherchierte, quellenorientierte Studie profitiert von einer außergewöhnlich guten Quellenlage. [...] Die Studie ist nicht die erste, aber wohl die umfassendste zu Medikamentenversuchen in der Psychiatrie, die in den letzten Jahren erschienen sind. Ein großes Verdienst des Buchs ist die gezielte Aufdeckung der Verbindungen und der Zusammenarbeit der Klinik mit der Pharmaindustrie: Die Trias ‹Klinik, Forschung und Industrie› ist nicht voneinander zu trennen. [...] Gewinnbringend bleibt die Nachzeichnung der Umbrüche in der Psychiatrie, die in den 1950er-Jahren von einem ungebremsten therapeutischen Optimismus angetrieben wurde. [...] Überzeugt von den Chancen, die die Pharmakotherapie versprach, nahm er für den wissenschaftlichen Fortschritt große Risiken in Kauf, die andere trugen, nicht er.»
Vollständige Rezension
«Sein Name steht für die zahlreichen Medikamententests in Münsterlingen im Laufe des letzten Jahrhunderts: Roland Kuhn. Er war von 1939 bis 1980 als Arzt und Direktor in der psychiatrischen Klinik in Münsterlingen tätig. Um die Wirkung von neuen Medikamenten nachzuweisen, testete er diese in Zusammenarbeit mit Schweizer Pharmafirmen an den Patienten – häufig ohne deren Wissen. Der Kanton Thurgau liess diese Medikamententests nun historisch aufarbeiten. Die Aufarbeitung unter Leitung der Historikerin Marietta Meier zeigt in einem fast 300-seitigen Buch die Ausmasse dieser klinischen Versuche.»
Vollständiger Beitrag (2.18 Minuten)
«Medikamentenversuche in Münsterlingen. In der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurden jahrelang nicht zugelassenen Medikamente an Patienten getestet. Dreh- und Angelpunkt war der damalige Psychiater und Klinikdirektor Roland Kuhn.»
Vollständiger Beitrag (6.16 Minuten)
«An der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen wurde an mindestens 3000 Personen illegal Medikamente getestet. Das zeigt ein umfassender Bericht. Untersuchungsleiterin Marietta Meier überraschte vor allem das Aussmass der Tests.»
Top online, 23. September 2019, Nicki Stettler (3.06 Minuten)
«Unter den «Versuchskaninchen» waren auch Kinder, mehr dazu im Beitrag von RADIO TOP»
Top online, 23. September 2019, Nicki Stettler (1.56 Minuten)
«TELE TOP hat mit Marietta Meier, einer Historikerin der Universität Zürich und Jakob Stark, dem Regierungspräsidenten des Kanton Thurgau gesprochen»
Tele Top, 23. September 2019, Sergio Lüthi (2.47 Minuten)
«In der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen erhielten PatientInnen jahrzehntelang Pillen und Ampullen verabreicht, die für eine medizinische Behandlung nicht zugelassen waren. [...] Die ForscherInnen [stiessen - SG] in den Krankenakten der Psychiatrischen Klinik auf über 1100 Patientinnen und Patienten, an denen ungeprüfte Medikamente getestet wurden. Die AutorInnen des am Montag veröffentlichten Berichts gehen davon aus, dass es eine Vielzahl weiterer Betroffener gibt. Drei Millionen Einzeldosen Prüfsubstanzen schickten vor allem in Basel ansässige Pharmafirmen zwischen 1946 und 1980 nach Münsterlingen. Empfänger war Roland Kuhn, Oberarzt und später Leiter der Psychiatrischen Klinik. Kuhn bevorzugte für seine Versuche ‹schwere, chronische Fälle›, also PatientInnen, die er gut kannte und denen er kaum Aussicht auf Heilung attestierte. Ihnen verabreichte er Präparate, um deren Substanzen zu Beginn von möglichen längeren Testreihen ‹etwas kennenzulernen›. Dabei stand nicht nur die Wirkung im Fokus, sondern mitunter auch die Toxizität, also die Schwelle zur Vergiftung.»
«Medikamententests in Münsterlingen: Wie Oberarzt ‹Daddy Long Leg› seine Patienten als Versuchskaninchen benutzte. Drei Jahrzehnte lang testeten Basler Pharmafirmen nichtzugelassene Medikamente an Tausenden Menschen in der Schweiz. Besonders ‹hilfreich› war die Klinik im thurgauischen Münsterlingen. Der Oberarzt Roland Kuhn steigerte sich in ein wahres Versuchsfieber. [...] Die 67 Prüfsubstanzen, die nachweislich in Münsterlingen getestet wurden – vermutlich waren es Dutzende mehr –, stammten von den Firmen Geigy, Ciba, Ciba-Geigy (nach dem Zusammenschluss), Sandoz, Hoffmann-La Roche, Wander und in einem Fall von der US-Firma Wyeth.»
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«Was die auf Psychiatriegeschichte spezialisierten Historikerinnen Marietta Meier und Magaly Tornay zusammen mit dem im April verstorbenen Wirtschaftshistoriker Mario König herausfanden, legen sie im Band ‹Testfall Münsterlingen› vor: ein – um das Urteil vorwegzunehmen – rundum überzeugendes Buch, das den Ansprüchen der Wissenschaft genügt, ja wichtige Erkenntnisse bietet und spannende Anstösse gibt, aber klar aufgebaut und gut geschrieben auch die Fragen des Publikums beantwortet.»
«In Münsterlingen prüfte der renommierte Psychiater Roland Kuhn jahrzehntelang nicht zugelassene Medikamente an Patienten. Diese waren ahnungslos – nicht aber die Pharmaindustrie. [...] Das Ausmass der Versuche ist schier unglaublich. Im untersuchten Zeitraum – 1940 bis 1980 – gelangten mindestens 3 Millionen Einzeldosen an den Bodensee. [...] Ob Dragées, Tabletten, Ampullen oder Zäpfchen, ob in der Farbe Weiss, Rosa, Rot, Gelb oder Schwarz: Die grösste Menge an Präparaten wurde der Psychiatrischen Klinik zwischen 1957 und 1965 geliefert. Damals gab es in Münsterlingen durchschnittlich 700 stationäre Patienten und knapp 1400 ambulante Patienten pro Jahr. Die grösste dokumentierte Lieferung enthielt 300000 Dragées Ketimipramin … kurz Keto genannt. [...] Neben keto testete Kuhn etwa in grossen Mengen das für gefährliche Zwischenfälle sorgende Neuroleptikum FR 33. Patientinnen und Patienten kollabierten zum Teil nach nur einer Tablette schwer, manche verstarben – auf den Markt gelangte die Substanz nie.»
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«2012 machte der ‹TagesAnzeiger› publik, dass in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen TG zwischen 1947 und 1980 mindestens 1100 Patienten ungefragt ungeprüfte Substanzen erhalten hatten. Die Behörden liessen die Klinik gewähren und schauten weg. Bis der Kanton Thurgau vor drei Jahren ein Team aus fünf Historikern beauftragte, Licht in die Geschichte zu bringen. [...] Das Resultat ist nun als Buch erschienen: [...] Die Quellenbasis für das Buch ist einzigartig. [...] Ein akribisch recherchiertes, verständlich geschriebenes Stück Schweizer Geschichte.»
«Es ist ein wichtiger Beitrag zur Psychiatriegeschichte, den Marietta Meier, Magaly Tornay und der inzwischen verstorbene Mario König vorgelegt haben: ‹Testfall Münsterlingen› zeigt am Beispiel der Thurgauischen Psychiatrie, wie selbstherrlich und unkontrolliert ein Oberarzt, später Direktor in den Jahren 1940 bis 1980 an ‹seiner› Klinik schalten und walten konnte.»
«Der Testskandal aus Münsterlingen tönt wie aus einem Gruselfilm. Der Gruselfilm spielt im Kanton Thurgau: Dort wurden von 1946 bis 1980 klinische Versuche in der Psychiatrie durchgeführt, ohne dass die Patienten oder ihre Angehörigen davon wussten. In einem vierjährigen Forschungsprojekt, dessen Ergebnisse nun veröffentlicht wurden, haben Historikerinnen und Historiker rund 1100 Testpersonen identifizieren können – die Dunkelziffer liegt weit höher.»
«Trotz des wissenschaftlich nüchternen Stils gibt das Buch einen spannenden und erschreckenden Einblick in die Konequenzen von unreguliertem Forschungsehrgeiz und Profitinteressen.»
«Die zwei [Todes-]Fälle finden sich im kürzlich publizierten Forschungsbericht über die Medikamentenversuche in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen. Der 2005 verstorbene langjährige Oberarzt und Direktor des Spitals, Roland Kuhn, hatte zwischen 1946 und 1972 an rund 1600 seiner Patientinnen und Patienten illegale Medikamentenversuche durchgeführt. In dieser Zeit kam es zu zwei Dutzend Todesfällen, deren Ursachen nie näher untersucht wurden.
In den Jahren 2013 und 2014 wurde der Skandal öffentlich, die Klinik kam unter Beschuss der Medien. Die Thurgauer Regierung reagierte mit dem Auftrag, den Fall zu untersuchen. Fünf Historikerinnen und Historiker haben unter der Leitung von Staatsarchivar André Salathé in gut drei Jahren den Skandal von Münsterlingen aufgearbeitet. Jetzt liegt der Forschungsbericht in Buchform vor. Er richtet sich an Laien und Fachleute. Vieles konnte aufgeklärt werden, aber vieles auch nicht.»
Weitere Medienbeiträge:
«Ein neuer Bericht zeigt: In der Psychiatrie-Klinik Münsterlingen wurden Medikamente getestet – an mindestens 3000 Patienten.»
Nau.ch
«Psychiatrische Klinik Münsterlingen: Medikamentenversuche an bis zu 3000 Patienten +++ Kanton errichtet Zeichen der Erinnerung auf altem Spitalfriedhof. +++ Roland Kuhn testete in Münsterlingen eine enorme Menge nicht zugelassener Medikamente direkt an seinen ahnungslosen Patienten. Ein nun erschienenes Buch zeigt die Dimension der Tests auf.»
Tagblatt Ostschweiz, 23. September 2019, Silvan Meile, Larissa Flammer
«Millionen für Tests an Menschen. In Münsterlingen experimentierte Psychiater Roland Kuhn über 40 Jahre lang mit Medikamenten. In einem riesigen Ausmass und ohne Zustimmung der Patienten, wie jetzt eine historische Aufarbeitung belegt.»
Beobachter, 23. September 2019, Otto Hostettler
Dutzende Todesfälle nach Tests mit Medikamenten in Münsterlingen
Bluewin.ch, 23. September 2019, SDA/uri