Zwischen Aufsicht und Betreuung

Berufsbildung und Arbeitsalltag der Psychiatriepflege am Beispiel der Basler Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt, 1886–1960

Broschur
2013. 352 Seiten, 57 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-1171-6
CHF 48.00 / EUR 43.00 
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Das Psychiatriepflegepersonal war im Anstaltsalltag mit widersprüchlichen Anforderungen konfrontiert: Einerseits für Disziplin­ und Ordnung auf der Abteilung zu sorgen und andererseits Betreuung und Verständnis für die Kranken zu bieten, bedeutete eine schwierige Gratwanderung, der nicht alle Pflegepersonen gleichermassen gewachsen waren. Gewalttätige Übergriffe, berufsbedingte Erkrankungen oder Suchtprobleme waren Symptome, die durch die prekären Arbeitsbedingungen verschärft wurden.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Psychiatriepflege als Hilfsarbeit ohne Ansehen und Kompetenzen. Erst mit dem Aufbau einer fundierten Ausbildung, die parallel zur Professionalisierung der Psychiatrie verlief, entwickelte sie sich zu einem qualifizierten Beruf. Rolle und Funktion der PflegerInnen veränderten sich, sie wurden unentbehrliche Mitarbeitende bei den neuen Therapie­methoden, mit denen Psychiater ihr Behandlungs­feld erweiterten.
Die Entwicklung des Psychiatriepflegeberufs in der Schweiz wird hier erstmals umfassend dargestellt. Neben Fragen der Organisierung, der Professionalisierung des Berufsfelds und der Bedeutung der Geschlechterverhältnisse in der Klinik steht der Pflegealltag im Zentrum. Das vielfältige und bisher nicht ausgewertete Quellenmaterial erlaubt es, die Problematik von Gewalt, Sexualität und Suizid zu untersuchen, und macht dabei die Ambivalenz zwischen Ordnen, Betreuen, Pflegen und Beherrschen sichtbar. Es wird offensichtlich, dass die pflegehistorische Perspektive die Psychiatriegeschichte um eine wichtige, bislang vernachlässigte Dimension erweitert und für ihr Verständnis unerlässlich ist.

Sabine Braunschweig, Historikerin und dipl. Erwachsenenbildnerin mit eigenem Büro für Sozialgeschichte in Basel. Arbeitsschwerpunkte: Archivierung, Beratung, Forschung und Vermittlung, Ausstellungs- und Buchprojekte, www.sozialgeschichte-bs.ch.


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Inhalt

1. Einleitung
1.1. Geschichte der Psychiatriepflege
1.2. Forschungskontext
1.3. Thesen, Fragestellungen und Begriffe
1.4. Methoden und Quellen
1.5. Gliederung und zeitlicher Rahmen der Arbeit

2. Irrenwartung im 19. Jahrhundert
2.1. Die Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt
2.2. Das Pflegepersonal der Friedmatt
2.3. Die Rolle des Wartpersonals im Anstaltsalltag
2.4. Das Wartpersonal in der Diskussion der Irrenärzte

3. Berufsentwicklung
3.1. Professionalisierung
3.2. Organisierung
3.3. Ausbildung
3.4. Gescheiterte gesetzliche Regelungen der Pflegeberufe
3.5. Die Rolle des Schweizerischen Roten Kreuzes

4. Ordnungs- und Betreuungsfunktion des Pflegepersonals im Anstaltsalltag
4.1. Zwischen Beaufsichtigung und Fürsorge
4.2. Anstaltsfamilie
4.3. Fallbeispiele: Gewalt, Sexualität, Entweichung und Suizid
4.4. Berufsbedingte Erkrankungen
4.5. Interdependenzen von Pflegepersonal und Kranken

5. Die Rolle des Pflegepersonals bei den Therapien
5.1. Zusammenarbeit von ärztlichem und Pflegepersonal
5.2. Pflegerische Verrichtungen bei den somatischen Therapien

6. Die Rolle des Pflegepersonals bei eugenischen Massnahmen
6.1. Eugenik
6.2. Pflege und Eugenik

7. Fazit
7.1. Die Frage der Handlungsspielräume
7.2. Männer- oder Frauenberuf
7.3. Die Situierung der Psychiatriepflege im Pflegefeld


Pressestimmen

«Die gut lesbare Arbeit ist insbesondere da innovativ, wo es um die Sicht und die Tätigkeit des Pflegepersonals im Alltag geht.»

Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 5/2014, Christina Vanja

«Mit der pflegehistorischen Perspektive hat Sabine Braunschweig die Psychiatriegeschichte um eine wichtige, bislang vernachlässigte Dimension erweitert. […] Dank der Untersuchung von Sabine Braunschweig liegt erstmals eine umfassende Darstellung zur Entwicklung des Psychiatriepflegeberufs in Basel vor, deren Bedeutung für die Pflegegeschichte weit über die Schweiz hinausreicht.»

www.socialnet.de/rezensionen/17370.php, Hubert Kolling

«[…] eine sehr lesenswerte Studie zur Geschichte der Pflege und Psychiatrie in der Schweiz […], die sich durch ihren Fokus auf eine bisher in der Forschung vernachlässigte Akteursgruppe, die Pflegepersonen, und eine vielfältige Quellengrundlage auszeichnet.»

H-Soz-u-Kult, 9/2014, Michèle Hofmann

«Die wichtigste Botschaft des Buchs Zwischen Aufsicht und Betreuung ist, dass Pflegegeschichte als Teil der Psychiatriegeschichte verstanden wird. [...] An der Pflegegeschichte können die großen Linien der Historie der Versorgung psychisch kranker Menschen veranschaulicht werden. Sie glauben es nicht? Dann nehmen Sie dieses eindrucksvolle und gut lesbare Buch in die Hand, das historisch sauber bearbeitet und im Schreibstil eher feuilletonistisch gestaltet wurde. [...] Braunschweig gelingt es, die Geschichte vor Ort immer auch als Matrix für das Geschehen in der gesamten Schweiz darzustellen.»

amazon.de, 26. April 2018, Christoph Müller

«Gewöhnlich wird die Geschichte der Psychiatrie aus der Sicht der Medizin geschrieben. Die Bücher ‹Zwischen Aufsicht und Betreuung› und ‹Leben in Haus 5› sind Meilensteine dafür, dass Psychiatrie-Geschichte aus der Sicht der größten in ihr tätigen Berufsgruppe geschrieben werden kann. [...] Die beiden Bücher schließen eine Lücke in der psychiatrischen Historien-Betrachtung. Hoffentlich wird es mehr Engagement in diese Richtung geben.»

Psychiatrische Pflege (2018) 3 (4), Christoph Müller