Diplomatische Dokumente der Schweiz – Documents Diplomatiques Suisses – Documenti Diplomatici Svizzeri

1. V. 1952–31. III. 1955

Diplomatische Dokumente der Schweiz – Documents diplomatiques suisses – Documenti diplomatici svizzeri, Band 19
Gebunden
2003. 456 Seiten
ISBN 978-3-0340-0635-4
CHF 60.00 / EUR 39.90 
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Band 19 der Diplomatischen Dokumente der Schweiz umfasst eine Periode, welche vom Kalten Krieg einerseits und einem ersten Versuch der Entspannung zwischen Ost und West nach dem Tod Stalins andererseits gekennzeichnet ist. Die Schweizer Diplomatie nimmt diese Gelegenheiten wahr, ihre Neutralitätspolitik gegenüber den beiden Blöcken zu behaupten: Sie beteiligt sich an der Überwachungskommission des Waffenstillstandes in Korea und empfängt in Genf jene Konferenz, welche den Konflikten in Korea und Indochina ein Ende setzen sollte. Bern versucht im Ost-West-Handel seine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu behaupten. Es werden die Beziehungen mit den wichtigsten Partnern ebenso wie diejenigen mit Ländern in Lateinamerika, Asien und dem Mittleren Osten, die Beteiligung der Schweiz innerhalb von internationalen Organisationen sowie die Politik gegenüber europäischen Institutionen dokumentiert.


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Besprechungen

Neutral zwischen Bangen und Hoffen

Die «Diplomatischen Dokumente der Schweiz», 1952-1955

tmn. Es gibt gute Gründe, weshalb die Amerikaner mit den Europäern nicht zufrieden sind. Die USA haben die Lasten des Kalten Krieges getragen; sie haben den wirtschaftlichen Aufschwung des Kontinents ermöglicht und dessen militärische Verteidigung garantiert, ja die europäische Integration angeregt. Aber Europa folgt nicht oder nur widerwillig, die gemeinsame Verteidigungspolitik kommt nicht voran. Antiamerikanische Gefühle verbreiten sich in Europa, man glaubt nicht an eine unmittelbare Bedrohung, zumindest nicht in militärischer Form. Die Europäer erscheinen den USA immer mehr wie lästige Bettler, die nicht selbst für ihre Verteidigungsaufwendungen aufkommen wollen. Allein Deutschland ist ein Alliierter, auf den man zählen kann.
Die Analyse, die bis auf den letzten Satz recht aktuell klingt, stammt vom Schweizer Aussenminister Max Petitpierre und datiert vom November 1953. Die Bedrohung, welche die Europäer nicht länger fürchten, ist die sowjetische: Stalin ist im März gestorben. Allerdings liest der Schweizer Botschafter an der Tür des neu-alten Aussenministers Molotow die vielsagende Tafel: Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnungen fahren.

Ambivalente Supermächte

Mit Band 19 kommen die «Diplomatischen Dokumente der Schweiz» (DDS) damit in eine Phase der Ungewissheit, die Jahre 1952 bis 1955: Bedeutet der Waffenstillstand im Koreakrieg auch ein Ende des Kalten Kriegs? Und wie positioniert sich der neutrale Kleinstaat? Schweizerische Offiziere nehmen in der Neutralen Überwachungskommission in Panmunjom Einsitz, zusammen mit Schweden und - auf Nomination von Nordkorea - Polen und Tschechoslowaken.
Damit droht der Schweiz die in jeder Hinsicht problematische Etikette «Neutrale des Westens». Trotzdem übernimmt sie die Mission in der Tradition der Guten Dienste. Positiv zu Buche schlagen dabei die erste, indirekte Anerkennung der Neutralität durch die USA und auch einige nette sowjetische Worte: Keine Grossmacht könne etwas gegen die schweizerische Neutralität haben, meint der Botschafter der UdSSR in Rom, der dankbar ist, dass sein Pendant, Altbundesrat Enrico Celio, im Unterschied zu Nato-Diplomaten einem stilvollen Empfang in der Residenz nicht fernbleibt.
Die Leute im Aussenministerium, dem damaligen Politischen Departement (EPD), verkennen nicht, dass solche Voten ambivalent und situationsgebunden sind. Das gilt auch für die USA: General John Willems warnt davor, die Schweiz werde auf jeden Fall in einen neuen Krieg hineingezogen und möge zum beiderseitigen Vorteil ein gemeinsames Verteidigungsdispositiv mit den Westmächten entwerfen. In Amerika betrachtet man die Schweizer Neutralität nicht nur als Mittel, sich aus Konflikten herauszuhalten, sondern auch als eines, um mit beiden Lagern gute Geschäfte zu machen - Hintergrund sind nicht zuletzt Konflikte um Uhrenexporte, aber auch Divergenzen hinsichtlich der Ein- und Ausfuhr von Waffen.

Mitmachen in Uno und Europa?

Petitpierre selbst versteht inländische Kritiker wie den Historiker Marcel Beck, welche die Neutralität als überholt ansehen: Logik und Moral sprächen für ein Engagement auf westlicher Seite. Doch unter den herrschenden Umständen sei sie weiter nützlich, ermögliche ein Höchstmass an Unabhängigkeit und den Widerstand gegen Druckversuche. Deshalb müsse man sie, gerade was die Zurückhaltung beim europäischen Einigungsprozess betreffe, nicht mit humanitären und altruistischen Begründungen verbrämen, sondern dazu stehen, dass die Neutralitätspolitik einem legitimen «égoïsme éclairé» und dem nationalen Interesse gehorche: Die Gründerstaaten der Montanunion hätten bei einem Scheitern weiterer Integrationsbemühungen wenig zu verlieren, die Schweiz dagegen müsse, um mitzumachen, vorgängig auf die Neutralität verzichten, der sie Unabhängigkeit, Frieden und Prosperität verdanke.
Petitpierre schliesst allerdings nicht aus, dass sein Land in einigen Jahren oder Jahrzehnten einem europäischen Bund angehören werde, sofern dieser erfolgreich sei; darauf müsse man sich vorbereiten. Ähnlich klingt es bezüglich Uno: Die Möglichkeit eines Beitritts nach ausdrücklicher Anerkennung der Neutralität hat den Aussenminister nach eigenem Bekunden stets beschäftigt. Gegenwärtig bringe ein Beitritt keine Vorteile, eher im Gegenteil, aber wenn auch die drei noch geächteten, vormals faschistischen Nachbarländer der Weltgemeinschaft angehörten, könnte sich das ändern. Allerdings, das sieht Petitpierre voraus, werde das Volk sich nur sehr schwer zu einem Beitritt bewegen lassen, da es die Absenz von der Weltorganisation als Vorteil werte.
Wenn der Souverän dazu neigt, die Neutralität zu verabsolutieren, dann liegt das auch daran, dass die Behörden jeden Kratzer an ihrem Bild zu verhindern versuchen. Alfred Zehnder, der Chef der Abteilung für politische Angelegenheiten im EPD, ermahnt den Botschafter in Mexiko, Charles-Edouard de Bavier, nichts über seine Vermittlertätigkeit zu berichten, mit der er im Krieg die Deutschen zur kampflosen Übergabe von Athen an die Alliierten zu bewegen suchte. Man habe nichts gegen jene Leistung, aber publik werden dürfe sie nicht, da sie das Vertrauen in das korrekte Handeln der Schweiz untergraben müsste. Zehnder interveniert auch gegen die Hilfsbereitschaft der Botschaft in Washington, als der Privatdozent und spätere Professor Rudolf von Albertini in den USA nach italienischen Dokumenten der Kriegsjahre sucht, «die Namen von prominenten schweizerischen Persönlichkeiten und ihre angeblichen Äusserungen zu politischen Tagesfragen enthalten». Man müsse abklären, «wes Geistes Kind» von Albertini sei «und was er im Schilde führt» - weil er vermutlich «aktuelles und vielleicht sensationelles Material sucht, um seine Vorlesungen interessant zu machen». Tatsächlich kommt der Historiker an die Quellenstücke nicht heran.

Positiv zur Dekolonisierung

Ganz behüten lässt sich eine noch so friedliche und neutrale Schweiz nicht, wie ein Bericht über den «banditisme politique» als ein Zeichen der Zeit festhält, nachdem eine rumänische Widerstandsgruppe im März 1955 die Berner Botschaft ihres Heimatlands mit Waffengewalt und Blutvergiessen besetzt hat. Recht flexibel reagiert der Bundesrat gleichzeitig auf die Dekolonialisierung, die als unausweichlich erkannt und begrüsst wird, insofern bisher unterdrückte Völker frei über ihr Schicksal bestimmen können. Nicht stattgegeben wird deshalb dem französischen Wunsch, die erst halbautonomen Kolonien in Indochina bereits diplomatisch anzuerkennen. Wichtiger als die grundsätzlichen politischen und völkerrechtlichen Überlegungen scheinen für die Schweizer allerdings die wirtschaftlichen zu sein: Das zeigt sich nicht nur bei den Planungen, wo neue Botschaften einzurichten sind, sondern auch bei den Kontakten mit Südafrika. Schweizerische Unternehmer drängen auf diesen lukrativen Markt, doch der Bericht eines Bankverein-Generaldirektors macht deutlich, dass man die provokative Rassenpolitik der Regierung als Quelle von Unruhen ansieht und auch Kontakte zur farbigen Opposition hat. Gleichzeitig geht der Bankier aber davon aus, dass «der allergrösste Teil der Neger in allen Ländern Afrikas die weisse Herrschaft der schwarzen vorzieht» - ein Wunsch, dem auch die Angst vor kommunistischen Geländegewinnen Pate steht.

Diplomatische Dokumente der Schweiz, Band 19 (1. V. 1952 - 31. III. 1955). Hg. von Antoine Fleury. Chronos-Verlag, Zürich 2003. 458 S., Fr. 60.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Samstag, 25.10.2003 Nr.248 83
(c) 1993-2003 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 2

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