Die Frau des Metzgers

Eine Annäherung

Gebunden
2007. 5. Auflage 2019.
240 Seiten
ISBN 978-3-0340-0869-3
CHF 29.80 / EUR 26.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • Einblick
  • In den Medien

«Die Frau des Metzgers» erzählt von der Kindheit und Jugend einer Generation, die dabei ist, uns zu verlassen. In einer armen Grossfamilie aus Solothurn beginnt die Geschichte von Hildi. Zu ihr, der Schweigenden, führt uns ein Geflecht von Stimmen, die sich erinnern, wie sie als Kind mitten in einer unübersichtlichen Schar von Geschwistern aufwuchs, wie sie als Jugendliche in der Fabrik arbeitete, um den dringend benötigten Lohn nach Hause zu bringen. Von Ungewissheiten beim Erwachsenwerden ist die Rede, vom Tändeln, vom Kinderkriegen und Heiratenmüssen. Von Grenzüberschreitungen und Hingabe wird erzählt, von stillen Frauen, tapferen Kindern und auch vom Weinen der Männer.
Wie war das Leben an der Seite von Hans Meister, dem jungen Metzgersburschen, der ganz unten anfing und mit Hildi eine Familie gründete und ein eigenes Geschäft? Der sie, als es bergauf ging, vom Dorf in die Stadt verpflanzte und ihr einen Pelzmantel schenkte? Wer war die Frau neben dem energischen Metzger, der die Welt gern besser gemacht hätte? Was wurde aus ihrer Liebe? Und wie ging sie von der Welt?
Unter dem Erzählen der Stimmen, die sich überkreuzen und verknoten, formen sich die zeitgeschichtlichen Bilder als Kulisse hinter einer Frau, die ihr Geheimnis mit sich nahm.

«Ich wollte wissen, warum sie in einem Loch versank und verlöschte. Warum aus dieser sinnlichen, sprühenden Frau die Greisin wurde, die an ihren Seelenschmerzen zerbrach. Ich wollte wissen, was aus der Liebe geworden war, die ich als Kind spürte, wenn ich meine Grosseltern wie ein Wesen auf dem schmalen Sofa fand, schlafend.» Susanna Schwager im Nachwort

«Susanna Schwagers behutsame Darstellung zeichnet aus, dass sie sich nie über die Berichte ihrer Zeugen erhebt und die unerklärlichen Leerstellen dieser Vita in ihrem Geheimnis belässt. Nicht zuletzt gewähren die hier versammelten Stimmen eine anrührende Vorstellung von den menschlichen Freuden und Nöten in den unteren Regionen des Gesellschaft.»
Dr. Markus Notter anlässlich der Verleihung der Literaturauszeichnung des Kantons Zürich

Susanna Schwager war Lektorin bei einem renommierten literarischen Verlag. Später arbeitete sie als Redaktorin bei der «alten» Weltwoche. Aus Lateinamerika, wo sie mehrere Jahre lebte, brachte sie die Faszination für erzählte Geschichte und die Neugier auf das fremdartige Eigene nach Hause. Heute wohnt sie mit ihrer Familie in Zürich.
www.susannaschwager.ch


Bücher im Chronos Verlag

Textauszug

Stillwerden
Die Mutter wurde immer stiller. Das fing im Krieg an, da war das Hildi sehr oft traurig. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das nur wegen dem Krieg war. Oder mehr wegen dem Vater. Weil er so lange Zeit nicht da war und sie nicht wuss­te, was er machte. Das braucht viel Vertrauen, gegenseitig, das kann ich mir vorstellen. Das belastete diese Ehen doch. Alle Männer in diesen Krachen, wo es ohnehin zuwenig Männer gab. Es gab ja überall zuwenig Männer in dieser Zeit. Und die Frauen besuchten doch die jungen Männer auf den Alpen, das wusste man. Die Mutter wusste das auch, besuchte den Vater ein- oder zweimal an der Grenze, weil ihr Gerüchte zu Ohren kamen. Und weil sie den Vater so vermisste. Aber das war sicher nur ein Tropfen auf den heissen Stein.
,Züglete
Dann war der Tag da, wir standen mit den Koffern am Bahnhof in Solothurn. Es war kalt, das weiss ich noch. Das Hildi reiste allein mit dem Teres, dem Karl und mir. Der Vater und der kleine Werni waren mit dem Umzugsauto vorausgefahren, das wa


Pressestimmen

«Auch dieser ‹zweite› Band nach ‹Fleisch und Blut› ist eine Lesefreude. Das ist wunderbar gemacht und ergreifend zugleich. Unglaublich, was da alles mitschwimmt von früher, besonders auch für die Leserin.»
Beatrice von Matt an die Autorin


«Eine Zeitreise. Ein Buch über die Liebe, das Leben, zum Lachen und zum Weinen. Da ist alles drin, was ein Buch bieten kann.»
Christine Hubacher, Radio DRS


«So ist eine Lebensgeschichte aus vielen Blickwinkeln entstanden: zart und hart, drastisch und anrührend und immer wieder wunderbar poetisch.»
Wolfgang Bortlik, 20Minuten


«So zieht sich denn auch das Schweigen der Frauen zu unangenehmen Themen wie ein roter Faden durch das unbedingt lesenswerte Buch.»
Solothurner Tagblatt, Berner Zeitung


«Ebenso spannend und eloquent wie das erste Buch. Es erfüllt alle Voraussetzungen, um an ‹Fleisch und Blut› anzuknüpfen. Die wahren Heldinnen sind die Frauen, die über ihre Schatten sprangen, um offen zu sagen, was sich in so manch anderer Familie ebenfalls zugetragen haben könnte.»
Denise Marquard, Tages-Anzeiger


«Schwagers Verdienst ist es, sie [die Frau des Metzgers] als Stellvertreterin jener vielen schweigenden Frauen aus der Zeit vor dem Frauenstimmrecht sicht- und lesbar gemacht zu haben. […] Dass das Lesen von Schwager auch diesmal wieder ein Genuss ist, liegt massgeblich an der Sprache. Säbi Zyt redete man mit Wörtern, die unsereins nur noch im passiven Wortschatz hat.»
Jacqueline Schärli, du


«Es ist eigentlich falsch, von einer Fortsetzung zu sprechen. Vielmehr handelt es sich um eine andere Empfindungswelt, die hinter derselben Lebensgeschichte steht. Es entstehen so gewissermassen ‹zwei Wahrheiten›, die des Metzgermeisters und eine weitere seiner Frau Hildi. Das Buch ist weder Anklage, noch bietet es Erklärungen. Der Gesprächsfluss deutet vielmehr an, was die Gefühlswelt von Frauen des letzten Jahrhunderts gewesen sein könnte, von Gewerblerfrauen wie wohl auch von vielen anderen Gattinnen dominierender Partner. Sprache und Aufbau des Buches sind vergleichbar mit dem Kegel eines Scheinwerfers, der über Ereignisse und Personen hinwegstreift. Die harte Realität ist poetisch gebrochen und mit einem melancholischen Lächeln erzählt - die weibliche Sicht.»
Schweizerische Metzgerzeitung


«Eins vorneweg: ‹Die Frau des Metzgers› ist ein wunderbares Buch, ein Paradebeispiel subjektiv erzählter Geschichte ohne grosse Eingriffe der Protokollantin Susanna Schwager, der Enkelin der beiden Hauptpersonen. … Das Buch ist zugleich ein Paradebeispiel dafür, wie absurd mitunter die Mär von den guten alten Zeiten ist, wie sehr das alte Männer/Frauenbild vieles verhindert.»
Koni Loepfe, P.S.


Besprechungen

Herzschatten

Nach dem Tanz an jenem Silvesterabend in Solothurn, 1932, weiss er ihren Blick zu deuten: «Trag Sorge zu mir.» Der 19-jährige Metzgerbursche Hans Meister ist soeben seiner grossen Liebe begegnet, der 24-jährigen Hildi, mit der er 58 gemeinsame Ehejahre verbringen und noch im Alter von 92 Jahren Erinnerungen von erstaunlicher Leuchtkraft, aber auch abgründiger Tragik beschwören wird. Seine in Zürich wohnhafte Enkelin Susanna Schwager, einst Lektorin beim Diogenes-Verlag und «Weltwoche»-Redaktorin, schreibt die Geschichte ihrer Grosseltern fort, hat sie doch bereits in «Fleisch und Blut» (2004) den vitalen Grossvater Hans Meister porträtiert.

Nun rückt seine Gattin Hildi Meister (1908 bis 1992) ins Blickfeld: eine zerbrechliche Frau von liebenswertem Aussehen, die Wert auf modische Garderobe legt und empfänglich für die Freuden des Daseins ist. Am Anfang der Recherche stand für die Enkelin die Frage, «warum aus dieser sinnlichen, sprühenden Frau die Greisin wurde, die an ihren Seelenschmerzen zerbrach». Wenn man den Lebenslinien folgt, so ahnt man erst nicht das Ausmass des Unheils. Einige Anzeichen deuten zwar darauf hin: Hildis Ängste vor dem Wasser und der Höhe, vor fremden Menschen und Orten. Aber die Bestürzung wächst während des Lesens und mündet in jene Fassungslosigkeit, die Susanna Schwager zum Schreiben gedrängt hat. Am Ende glaubt man zwar Bescheid zu wissen: dass hier ein höchst sensibler und herzensguter Mensch, der sich nie zu wehren wusste, immer wieder überfordert wurde, bis er mit massiven Zwangsvorstellungen reagierte.

Doch letztlich rühren die sorgfältigen Erkundungen der Autorin, die keine Schuldzuweisungen vornimmt, nicht an das wehmutsvolle Geheimnis dieser Frau. Susanna Schwager hat den Stoff nicht auf eine Fallgeschichte reduziert. Umso nachdenklicher verweilt man bei jener Szene, an die sich Hildis Mann erinnert, als seine sterbende Frau plötzlich den Kopf hebt: «Sie hatte die Augen offen, und das Leuchten war auf ihrem Gesicht. Sie schaute zum Fenster. Draussen nur finstere Nacht, aber sie schaute hinaus, als würde sie dort etwas sehen. Dann drückte sie ganz wenig meine Hand und flüsterte: »

Der lebensvolle Ehemann ist für sie während der fast zwanzigjährigen Krankheit zum Vater geworden, dessen Schutz sie blind vertraut. In den früheren Jahren aber scheint ein Verständnis von Gemeinschaft auf, das heute fremd und kostbar anmutet. So geraten diese Erinnerungen zu einem Anschauungsbuch, wie Schwierigkeiten fraglos selbstverständlich von Mann und Frau angegangen worden sind. Das Leben dieses Paars war nicht auf Rosen gebettet. Arbeit und nochmals Arbeit – das war die Losung eines Alltags mit ungünstigen Rahmenbedingungen: die Weltwirtschaftskrise der dreissiger Jahre und eine Zeit auch des Aktivdienstes, da Hildi, die Fabrikarbeiterin, im solothurnischen Zuchwil allein für die vier Kinder aufkommen musste. Ab 1955 folgte der herausfordernde Aufbau eines eigenen Metzgereigeschäfts an der «Krone» Unterstrass in Zürich. Aus diesen Schilderungen erwächst eine mit Details gesättigte Dokumentation des schweizerischen Alltags ohne Hochglanzfolie.

Getragen wird der Text von der Stimmen-Polyfonie: den immer wieder erstaunlich einsichtsvollen Aussagen des Ehemannes, der Tochter, der jüngsten Schwester, deren Statements in einer lebendig wirkenden Mischsprache von Dialekt und Hochdeutsch wiedergegeben werden. Die Mehrfachperspektive lässt unterschiedliche Deutungen und Nuancen zu und wird die Lesenden zum weiteren Nachdenken über Hildi M. verführen.

Beatrice Eichmann-Leutenegger, NZZ, 3.12.2007