Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht
Die Politik der schweizerischen Frauenverbände 1914–1971
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2007. 364 Seiten
ISBN 978-3-0340-0857-0
CHF 58.00 / EUR 52.00 
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2023. 364 Seiten
ISBN 978-3-0340-5857-5
CHF 48.00 / EUR 42.00 
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Die Schweizerinnen gehörten bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den am besten organisierten Frauen Europas. Trotzdem waren sie bei den letzten, die volle politische Rechte erhielten. Das ist keineswegs darauf zurückzuführen, dass die sogenannte «alte» Frauenbewegung sich zu wenig um die Gleichberechtigung bemühte. In dieser Untersuchung werden die Strategien aufgezeigt, die von den weiblichen Dachverbänden entwickelt wurden, um dieses Ziel zu erreichen. Während des Ersten Weltkriegs setzten sie auf Vorleistungen wie die freiwillige nationale Frauenspende, die jedoch bei den ersten kantonalen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht nach Kriegsende von den Männern nicht honoriert wurden. Auch der Versuch, durch die doppelte Qualifizierung der Mädchen für Beruf und Haushalt den Frauen zu mehr wirtschaftlichem Einfluss zu verhelfen, scheiterte in der Krise der dreissiger Jahre. Der Graben zwischen den konfessionell und ideologisch unterschiedlich ausgerichteten Organisationen vertiefte sich, die wertkonservative Familienpolitik und die Geistige Landesverteidigung blockierten bis über das Ende des Zweiten Weltkriegs hinaus die emanzipativen Strategien der fortschrittlichen Frauenverbände. Es blieb einzig der Weg, über die Einsitznahme in Expertenkommissionen Einfluss auf die Gesetzgebung zu nehmen, der in einzelnen Fragen wie z. B. der Staatsbürgerschaft der verheirateten Frau zu kleinen Erfolgen führte. Erst die Rezeption der internationalen Menschenrechtsdeklaration verhalf dem Frauenstimmrecht auch in der Schweiz zum Durchbruch. Sämtliche Verbände fanden sich nun zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen und liessen sich auch durch den negativen Ausgang zahlreicher kantonaler und der ersten eidgenössischen Abstimmung nicht entmutigen. Es bedurfte freilich politischer Druckmittel und einer neuen Demonstrationskultur, bis 1971 eine wichtige Etappe in der Gleichstellung der Geschlechter erreicht war.

(1931–2015)
war bis 1996 ordentliche Professorin für Schweizergeschichte in Verbindung mit neuerer allgemeiner Geschichte an der Universität Bern. Wissenschaftliche Schwerpunkte: Sozial-, Mentalitäts- und Geschlechtergeschichte.


Bücher im Chronos Verlag

Inhalt
1. Die Frauenorganisationen am Vorabend des Ersten Weltkriegs
1.1 Die Parteien- und Verbandslandschaft
1.2 Die Stellung der Frauen in Gesellschaft und Arbeitswelt

2. Die Verbandstätigkeit während des Ersten Weltkriegs
2.1 Die Mobilisierung der Schweizer Frauen
2.2 Die Zentralen Frauenhilfen
2.3 Die Marginalisierung des Roten Kreuzes
2.4 Der Verband Soldatenwohl

3. Wachsendes staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein
3.1 Die Nationale Frauenspende
3.2 Einsatz für den Frieden
3.3 Die Politisierung der weiblichen Tätigkeitsfelder

4. Die ersten Versuche zur Einführung des Frauenstimmrechts
4.1 Vorstösse auf kantonaler Ebene
4.2 Das Lavieren des Schweizerischen Verbands für Frauenstimmrecht
4.3 Das Scheitern der kantonalen Vorlagen
4.4 Das Verhältnis der Frauenorganisationen zu den politischen Parteien

5. Neue Organisationen und Strategien
5.1 Spezialisierung und Vernetzung
5.2 Der zweite Schweizerische Kongress für Fraueninteressen
5.3 Die Schweizerische Zentralstelle für Frauenberufe
5.4 Vermehrte Öffentlichkeitsarbeit
5.5 Die Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit SAFFA

6. Die Krisenjahre
6.1 Das Scheitern der Doppelqualifizierungsstrategie
6.2 Die Kampagne gegen die Doppelverdienerinnen
6.3 Die Stimmrechtspetition
6.4 Die Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie

7. Zurück zu den alten Leitbildern
7.1 Familienschutz als gesellschaftliches Anliegen
7.2 Die Gebärkampagne


8. Der Einbezug der Frauen in die Landesverteidigung
8.1 In Erwartung des kommenden Krieges
8.2 Der zivile Frauenhilfsdienst
8.3 Der militärische Frauenhilfsdienst
8.4 Die Flüchtlingshilfe

9. Die Neustrukturierung der Frauenbewegung
9.1 Das Frauensekretariat
9.2 Der dritte Schweizerische Frauenkongress
9.3 Die Reorganisation des Bundes Schweizerischer Frauenvereine
9.4 Rivalitäten und Konvergenzen

10. Ein weiterer Anlauf in der Stimmrechtsfrage
10.1 Ein gescheiterter Versuch auf Bundesebene
10.2 Eine Ablehnungsrunde in den Kantonen
10.3 Stimmrecht und Zivilschutzpflicht

11. Im Vorfeld der ersten eidgenössischen Abstimmung
11.1 Die Arbeitsgemeinschaft für die politischen Rechte der Frau
11.2 Das Schweizerische Frauenkomitee gegen das Frauenstimmrecht
11.3 Die zweite SAFFA
11.4 Irritation über das Buch «Frauen im Laufgitter»

12. Nach dem Nein von 1959
12.1 Erste Reaktionen
12.2 Widersprüche zwischen eidgenössischem und kantonalem Recht
12.3 Abwehrkämpfe der Stimmrechtsgegnerinnen

13. Stimmrecht ist Menschenrecht
13.1 Kontroversen um die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention
13.2 Die neue Botschaft zur Einführung des Frauenstimmrechts
13.3 Der Ausgang der Abstimmung
13.4 Die Folgen des Erfolgs

Pressestimmen
«Mit Staatsbürgerinnen ohne Stimmrecht hat Beatrix Mesmer das Standardwerk über die alte Frauenbewegung im 20. Jahrhundert geschrieben. […] Mesmers Ansatz ist primär politikgeschichtlich; er verhilft zu einem besseren Verständnis der Schweizer Demokratie, und er öffnet das Thema auch all jenen, die mit den sozialwissenschaftlichen Gender-Studies nicht vertraut sind.» Der kleine Bund

«eine eindrückliche Gesamtschau, aus der vor allem eines ersichtlich wird: Die Frauenverbände mischten sich in das politische Handeln auf allen Ebenen ein, verhielten sich ‹staatstragend›, noch bevor sie die politische Gleichberechtigung errungen hatten. […] Die Autorin schreibt einen kühlen, leicht ironischen Stil, und trotzdem ist zu spüren, wie sie mitleidet, sich aber auch freut, wenn den Frauen ein kluger Schachzug gelingt.» NZZ am Sonntag

«Das Buch ist in seiner stringenten Argumentation, der profunden Quellenanalyse und nicht zuletzt der logischen Darlegung nicht nur ein veritabler Gewinn für die Schweizer Landesgeschichte, sondern schliesst auch eine Lücke in der historischen Geschlechterforschung.» Zeitschrift für Politikwissenschaft

Besprechungen
Beatrix Mesmer, Verfasserin des Standardwerks Ausgeklammert – Eingeklammert. Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts hat die lange erwartete Fortsetzung vorgelegt. In ihrem neuen Buch untersucht sie die Politik der Frauenverbände vom Ersten Weltkrieg bis 1971, als den Schweizer Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestanden wurde. Erklärtes Ziel der Autorin ist die Darstellung der politischen Lernprozesse, welche einige Generationen von organisierten Frauen durchliefen, um ihre Interessen entgegen dem herrschenden Modell der geschlechtergetrennten Lebenssphären durchzusetzen. Mesmer unterscheidet drei Perioden: die Zeit des Ersten Weltkriegs und die 1920er-Jahre als Experimentierphase bezüglich Strategien zur Legitimierung der eigenen Interessen, dann die 1930er-Jahre und die Zeit des Zweiten Weltkriegs als Phase des Rückschritts, und schliesslich die Nachkriegszeit, die 1971 endlich mit dem Ja des männlichen Souveräns zur staatlichen Gleichstellung der Frauen ihren formellen Abschluss fand. Die knappe Hälfte des Buchs beschäftigt sich mit der innovativen Phase bis Ende der 1920er-Jahre. Der Prozess der Einbindung der Frauenvereine in die sich formierende gesamtschweizerische Parteienlandschaft zeitigte unterschiedliche Resultate. «Voll auf die Parteilinie verpflichtet» waren die SP-Frauen und der Schweizerische Katholische Frauenverein SKF, während der dominierende Freisinn sein Vereinswesen nicht formell koordinierte. Der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverband SGF galt als «bürgerlich», ohne sich in die Partei zu integrieren. Als «Sonderfall» identifiziert Mesmer die Frauenstimmrechtsvereine. Diese waren nicht in ein Delegationssystem eingebunden; sie kämpften für ihre eigenen Interessen. Ziel der im Bund Schweizerischer Frauenvereine BSF organisierten Frauen war generell die rechtliche Besserstellung der Frauen, während der eng liierte Frauenstimmrechtsverband FSV sich explizit auf das Frauenstimmrecht konzentrierte. Beide Gruppierungen hatten eine kohärente und eigenständige Frauenpolitik zum Ziel. Der Erste Weltkrieg galt den Frauenverbänden als «willkommene Bewährungsprobe». (24) Die Leistungs­fähigkeit der Frauen sollte der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Und diese Probe bestanden sie glorios. Während des Kriegs konnten sie sich relativ selbstbestimmt in Gebieten installieren, die eigentlich von Männern dominiert waren: in der zivilen Fürsorge (Rotes Kreuz), in der Armee (Ver­band Soldatenwohl), in der Unterstützung der Bundesfinanzen (die Nationale Frauenspende brachte mehr als 1 Million Franken zusammen), und auch in der internationalen Friedenspolitik (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit IFFF). Generell hatten sich die organisierten Frauen während der Kriegszeit politisiert, sogar der sich auf die spezifisch weib­liche Wesensart berufende SGF sah seine Tätigkeiten als nationale Arbeit. Gestützt auf diese Selbstwahrnehmung propagierte der 2. Schweizerische Kongress für Frauen­interessen 1921 eine Doppelstrategie: Hausfrauen wie auch Berufsfrauen sollten voll professionalisiert, qualifizert und ent­löhnt werden – wobei der Hausfrauen­lohn weniger vordringlich schien als die öffentlich-rechtliche Anerkennung als Be­ruf. Wirtschaftliche Emanzipation, so die Überzeugung, würde auch politische Emanzipation mit sich bringen. Die Desillusionierung folgte Ende der 1920er-Jahre. Das Frauenstimmrecht hatte keine Chance, und im Verlauf der Wirtschaftskrise richtete sich die Doppelqualifikationsstrategie gegen die Frauen selbst. Hausfrauen konnten motiviert werden, zu Hause zu bleiben und sich im Haushalt zu professionalisieren, erwerbstätige Frauen wurden zur Manipuliermasse der Wirtschaft. Statistisch belegbar wurden sie «umgeleitet» in den Hausdienst. Gleichzeitig wurden die Lehrzeiten typischer Frauenberufe wie Köchin oder Postgehilfin gekürzt, um der Unterstellung unter die BIGA-Bestimmungen zu entgehen. Eine Generation von jungen Frauen passte sich an und wählte eine Ausbildung in minderqualifizierten Frauenberufen, wo weniger Arbeitslosigkeit drohte als in qualifizierten Berufen. Dort wurden Frauen zudem als «Doppelverdienerinnen» diffamiert und bekämpft. Unter dem Stichwort «Geistige Landesverteidigung» gewann die Propaganda Gewicht, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht sei sozialistisch gefärbt. Die in diesem reaktionären Umfeld 1933 gegründete Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie reagierte mit einem Prioritätenwechsel: die Verteidigung der Demokratie galt nun als Vorbedingung für das Frauenstimmrecht. Dieses wurde während des gesamten Zweiten Weltkriegs nicht mehr thematisiert – die Verbands­poli­tikerinnen suchten nach Aktionsformen, welche die antifeministische Stimmung nicht noch verstärkten. Der Einbezug von Frauen in die Landesverteidigung sollte nach dem Willen der Protagonistinnen, darunter vielen mit entsprechenden positiven Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, durch einen freiwilligen, von Frauen selbst geleiteten Hilfsdienst geschehen. Dies liess sich, anders als während des Ersten Weltkriegs, kaum mehr realisieren. Sowohl beim zivilen, und erst recht beim militärischen Frauenhilfsdienst dominier­ten Tendenzen, Frauenorganisationen in die Verwaltung respektive in die Armee­hierarchie einzubeziehen. Die ernüchternden Erfahrungen der unter dem Motto der Geistigen Landesverteidigung von Männergremien geleiteten und abqualifizierten Frauenverbände setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Das Frauenstimmrecht wurde nun wieder thematisiert, aber anders als etwa in Frankreich und Italien nicht eingeführt. Der 1946 abgehaltene 3. Frauenkongress verfolgte die gleichen Themen wie derjenige von 1921, keinen Schritt war frau weitergekommen. Im Gegenteil: Die Grundsätze der Aufklärung wie auch die errungenen Positionen wurden preisgegeben. Im Schlussbericht des Frauenkongresses dominierte die Propaganda der Mütterlichkeit so penetrant – «die Frau im Heim ist nicht eine Frau neben anderen Frauen, es ist die Frau schlechthin» – dass sich die Autorin explizit die Frage stellt, ob die Referentinnen tatsächlich meinten, was sie sagten – oder ob sie dieses «Gerede» bewusst in Kauf nahmen, um konservative Frauenverbände einzubinden. (241 f.) In dieser frustrierenden Situation brachen auch die Differenzen zwischen den Frauenverbänden auf. Die Bemühungen um die Bildung eines noch so losen Dachverbands sämt­licher Frauenorganisationen scheiterten. Die mächtigen Verbände der gemeinnützigen Frauen SGF und der katholischen Frauen SKF blieben dem sich neu formierenden BSF fern. Die neue Strategie des BSF sah vor, möglichst viele qualifizierte Frauen in offizielle Gre­mien zu bringen und im korporatistischen Machtkartell mitzumachen. So sollte der Widerstand gegen das Frauenstimmrecht geschwächt werden. Jahre voller müh­samer und frustrierender Aktionen folgten, wobei sich die Frauenverbände auch intern mit rivalisierenden Machtansprüchen das Leben schwer machten. Die neuen Anläufe zur Einführung des Frauenstimmrechts stammten von sozialdemokratischen Vorstössen, die ihren gemächlichen Weg durch die parlamentarischen Mühlen nahmen. Argumenta­tionen und Inhalte der Kampagnen waren weitgehend diejenigen von 1920, und das äussere Umfeld glich «in fast peinlicher Weise» demjenigen nach dem Ersten Weltkrieg. (261) Zwei Jahre vor der ersten eidgenössischen Abstimmung 1959 wurde die neu gegründete Arbeits­gemeinschaft für die politischen Rechte der Frau aktiv. Unterdessen war auch der SKF zu den Be­fürworterinnen gestossen. Die Saffa 1958 betrieb bezüglich Propaganda für das Frauen­stimmrecht «eigentliche Selbst­zensur», obwohl sie das Verhältnis der neuen Frauen- zur Männergeneration «erfrischend originell» thematisiert habe. (296, 294) Nach der mit Zweidrittelmehrheit verworfenen Vorlage von 1959 nahm der immer gleiche Kampf bizarre Züge an. Der gesellschaftliche und politische Wandel der 1960er-Jahre manifestierte sich: hauptsächlich in welschen Kantonen wurde das Frauenstimmrecht eingeführt, in den Diskussionen um die beabsichtigte Unterzeichnung der europäischen Menschenrechtskonvention mit dem Vorbehalt Frauenstimmrecht verlor die Schweiz international an Ansehen, der Wandel der Protestkultur führte zu spektakulären Ak­tionen der jungen Generation wie Teach-ins und dem Marsch nach Bern 1969. Nicht zuletzt fanden die traditionellen «antifeministischen Affekte» ein neues Ziel im Kampf gegen die «Überfremdung». Die Abstimmungsvorlage 1971 war auch unter diesen neuen Bedingungen ein Kompromiss: Einführung auf eidgenös­sischer Ebene, auf kantonaler Ebene konnte separat abgestimmt werden – 1990 endlich war dann auch Appenzell Innerrhoden so weit. Beatrix Mesmer hat eine kompetente und zügig geschriebene Darstellung verfasst, die zahlreiche pointierte Analysen aufweist – und leider kein zusammen­fassendes Schlusswort. Wie sie betont, konnte sie auf eine Fülle von unveröffentlichten Seminar- und Lizentiatsarbeiten zurückgreifen, und die Ergebnisse der femi­nistischen Geschichtsforschung setzt sie als Allgemeinwissen voraus. Unverkennbar ist ihre Sympathie für die innovative Zeit von der Jahrhundertwende bis zu den 1920er-Jahren. Sie führt eine fein geschliffene Feder bei der Darstellung reaktionärer Legitimationsmuster. So charakterisiert sie ein Votum gegen das Frauenstimmrecht von 1939: «Als intellektuelle Leistung war diese Antwort sicher nicht auf dem Niveau, das man von einem freisinnigen Parteipräsidenten erwarten durfte, aber sie war zumindest ehrlich.» (175) Die Lektüre wirkt beklemmend. Generationen begabter Organisatorinnen und Vernetzerinnen rieben sich auf in einem frustrierenden und letztlich auch demütigenden Kampf. Die Autorin hat ihr Buch Marthe Gosteli gewidmet, einer jahrzehntelangen Kämpferin für das Frauenstimmrecht. Wie sähe die schweizerische Gesellschaft aus, wenn sich diese Frauen auf allen Ebenen der Politik schon 50 Jahre früher hätten engagieren können? Heidi Witzig (Uster) Beatrix Mesmer, Verfasserin des Standardwerks Ausgeklammert – Eingeklammert. Frauen und Frauenorganisationen in der Schweiz des 19. Jahrhunderts hat die lange erwartete Fortsetzung vorgelegt. In ihrem neuen Buch untersucht sie die Politik der Frauenverbände vom Ersten Weltkrieg bis 1971, als den Schweizer Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestanden wurde. Erklärtes Ziel der Autorin ist die Darstellung der politischen Lernprozesse, welche einige Generationen von organisierten Frauen durchliefen, um ihre Interessen entgegen dem herrschenden Modell der geschlechtergetrennten Lebenssphären durchzusetzen. Mesmer unterscheidet drei Perioden: die Zeit des Ersten Weltkriegs und die 1920er-Jahre als Experimentierphase bezüglich Strategien zur Legitimierung der eigenen Interessen, dann die 1930er-Jahre und die Zeit des Zweiten Weltkriegs als Phase des Rückschritts, und schliesslich die Nachkriegszeit, die 1971 endlich mit dem Ja des männlichen Souveräns zur staatlichen Gleichstellung der Frauen ihren formellen Abschluss fand. Die knappe Hälfte des Buchs beschäftigt sich mit der innovativen Phase bis Ende der 1920er-Jahre. Der Prozess der Einbindung der Frauenvereine in die sich formierende gesamtschweizerische Parteienlandschaft zeitigte unterschiedliche Resultate. «Voll auf die Parteilinie verpflichtet» waren die SP-Frauen und der Schweizerische Katholische Frauenverein SKF, während der dominierende Freisinn sein Vereinswesen nicht formell koordinierte. Der Schweizerische Gemeinnützige Frauenverband SGF galt als «bürgerlich», ohne sich in die Partei zu integrieren. Als «Sonderfall» identifiziert Mesmer die Frauenstimmrechtsvereine. Diese waren nicht in ein Delegationssystem eingebunden; sie kämpften für ihre eigenen Interessen. Ziel der im Bund Schweizerischer Frauenvereine BSF organisierten Frauen war generell die rechtliche Besserstellung der Frauen, während der eng liierte Frauenstimmrechtsverband FSV sich explizit auf das Frauenstimmrecht konzentrierte. Beide Gruppierungen hatten eine kohärente und eigenständige Frauenpolitik zum Ziel. Der Erste Weltkrieg galt den Frauenverbänden als «willkommene Bewährungsprobe». (24) Die Leistungs­fähigkeit der Frauen sollte der Öffentlichkeit vorgeführt werden. Und diese Probe bestanden sie glorios. Während des Kriegs konnten sie sich relativ selbstbestimmt in Gebieten installieren, die eigentlich von Männern dominiert waren: in der zivilen Fürsorge (Rotes Kreuz), in der Armee (Ver­band Soldatenwohl), in der Unterstützung der Bundesfinanzen (die Nationale Frauenspende brachte mehr als 1 Million Franken zusammen), und auch in der internationalen Friedenspolitik (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit IFFF). Generell hatten sich die organisierten Frauen während der Kriegszeit politisiert, sogar der sich auf die spezifisch weib­liche Wesensart berufende SGF sah seine Tätigkeiten als nationale Arbeit. Gestützt auf diese Selbstwahrnehmung propagierte der 2. Schweizerische Kongress für Frauen­interessen 1921 eine Doppelstrategie: Hausfrauen wie auch Berufsfrauen sollten voll professionalisiert, qualifizert und ent­löhnt werden – wobei der Hausfrauen­lohn weniger vordringlich schien als die öffentlich-rechtliche Anerkennung als Be­ruf. Wirtschaftliche Emanzipation, so die Überzeugung, würde auch politische Emanzipation mit sich bringen. Die Desillusionierung folgte Ende der 1920er-Jahre. Das Frauenstimmrecht hatte keine Chance, und im Verlauf der Wirtschaftskrise richtete sich die Doppelqualifikationsstrategie gegen die Frauen selbst. Hausfrauen konnten motiviert werden, zu Hause zu bleiben und sich im Haushalt zu professionalisieren, erwerbstätige Frauen wurden zur Manipuliermasse der Wirtschaft. Statistisch belegbar wurden sie «umgeleitet» in den Hausdienst. Gleichzeitig wurden die Lehrzeiten typischer Frauenberufe wie Köchin oder Postgehilfin gekürzt, um der Unterstellung unter die BIGA-Bestimmungen zu entgehen. Eine Generation von jungen Frauen passte sich an und wählte eine Ausbildung in minderqualifizierten Frauenberufen, wo weniger Arbeitslosigkeit drohte als in qualifizierten Berufen. Dort wurden Frauen zudem als «Doppelverdienerinnen» diffamiert und bekämpft. Unter dem Stichwort «Geistige Landesverteidigung» gewann die Propaganda Gewicht, die Forderung nach dem Frauenstimmrecht sei sozialistisch gefärbt. Die in diesem reaktionären Umfeld 1933 gegründete Arbeitsgemeinschaft Frau und Demokratie reagierte mit einem Prioritätenwechsel: die Verteidigung der Demokratie galt nun als Vorbedingung für das Frauenstimmrecht. Dieses wurde während des gesamten Zweiten Weltkriegs nicht mehr thematisiert – die Verbands­poli­tikerinnen suchten nach Aktionsformen, welche die antifeministische Stimmung nicht noch verstärkten. Der Einbezug von Frauen in die Landesverteidigung sollte nach dem Willen der Protagonistinnen, darunter vielen mit entsprechenden positiven Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg, durch einen freiwilligen, von Frauen selbst geleiteten Hilfsdienst geschehen. Dies liess sich, anders als während des Ersten Weltkriegs, kaum mehr realisieren. Sowohl beim zivilen, und erst recht beim militärischen Frauenhilfsdienst dominier­ten Tendenzen, Frauenorganisationen in die Verwaltung respektive in die Armee­hierarchie einzubeziehen. Die ernüchternden Erfahrungen der unter dem Motto der Geistigen Landesverteidigung von Männergremien geleiteten und abqualifizierten Frauenverbände setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Das Frauenstimmrecht wurde nun wieder thematisiert, aber anders als etwa in Frankreich und Italien nicht eingeführt. Der 1946 abgehaltene 3. Frauenkongress verfolgte die gleichen Themen wie derjenige von 1921, keinen Schritt war frau weitergekommen. Im Gegenteil: Die Grundsätze der Aufklärung wie auch die errungenen Positionen wurden preisgegeben. Im Schlussbericht des Frauenkongresses dominierte die Propaganda der Mütterlichkeit so penetrant – «die Frau im Heim ist nicht eine Frau neben anderen Frauen, es ist die Frau schlechthin» – dass sich die Autorin explizit die Frage stellt, ob die Referentinnen tatsächlich meinten, was sie sagten – oder ob sie dieses «Gerede» bewusst in Kauf nahmen, um konservative Frauenverbände einzubinden. (241 f.) In dieser frustrierenden Situation brachen auch die Differenzen zwischen den Frauenverbänden auf. Die Bemühungen um die Bildung eines noch so losen Dachverbands sämt­licher Frauenorganisationen scheiterten. Die mächtigen Verbände der gemeinnützigen Frauen SGF und der katholischen Frauen SKF blieben dem sich neu formierenden BSF fern. Die neue Strategie des BSF sah vor, möglichst viele qualifizierte Frauen in offizielle Gre­mien zu bringen und im korporatistischen Machtkartell mitzumachen. So sollte der Widerstand gegen das Frauenstimmrecht geschwächt werden. Jahre voller müh­samer und frustrierender Aktionen folgten, wobei sich die Frauenverbände auch intern mit rivalisierenden Machtansprüchen das Leben schwer machten. Die neuen Anläufe zur Einführung des Frauenstimmrechts stammten von sozialdemokratischen Vorstössen, die ihren gemächlichen Weg durch die parlamentarischen Mühlen nahmen. Argumenta­tionen und Inhalte der Kampagnen waren weitgehend diejenigen von 1920, und das äussere Umfeld glich «in fast peinlicher Weise» demjenigen nach dem Ersten Weltkrieg. (261) Zwei Jahre vor der ersten eidgenössischen Abstimmung 1959 wurde die neu gegründete Arbeits­gemeinschaft für die politischen Rechte der Frau aktiv. Unterdessen war auch der SKF zu den Be­fürworterinnen gestossen. Die Saffa 1958 betrieb bezüglich Propaganda für das Frauen­stimmrecht «eigentliche Selbst­zensur», obwohl sie das Verhältnis der neuen Frauen- zur Männergeneration «erfrischend originell» thematisiert habe. (296, 294) Nach der mit Zweidrittelmehrheit verworfenen Vorlage von 1959 nahm der immer gleiche Kampf bizarre Züge an. Der gesellschaftliche und politische Wandel der 1960er-Jahre manifestierte sich: hauptsächlich in welschen Kantonen wurde das Frauenstimmrecht eingeführt, in den Diskussionen um die beabsichtigte Unterzeichnung der europäischen Menschenrechtskonvention mit dem Vorbehalt Frauenstimmrecht verlor die Schweiz international an Ansehen, der Wandel der Protestkultur führte zu spektakulären Ak­tionen der jungen Generation wie Teach-ins und dem Marsch nach Bern 1969. Nicht zuletzt fanden die traditionellen «antifeministischen Affekte» ein neues Ziel im Kampf gegen die «Überfremdung». Die Abstimmungsvorlage 1971 war auch unter diesen neuen Bedingungen ein Kompromiss: Einführung auf eidgenös­sischer Ebene, auf kantonaler Ebene konnte separat abgestimmt werden – 1990 endlich war dann auch Appenzell Innerrhoden so weit. Beatrix Mesmer hat eine kompetente und zügig geschriebene Darstellung verfasst, die zahlreiche pointierte Analysen aufweist – und leider kein zusammen­fassendes Schlusswort. Wie sie betont, konnte sie auf eine Fülle von unveröffentlichten Seminar- und Lizentiatsarbeiten zurückgreifen, und die Ergebnisse der femi­nistischen Geschichtsforschung setzt sie als Allgemeinwissen voraus. Unverkennbar ist ihre Sympathie für die innovative Zeit von der Jahrhundertwende bis zu den 1920er-Jahren. Sie führt eine fein geschliffene Feder bei der Darstellung reaktionärer Legitimationsmuster. So charakterisiert sie ein Votum gegen das Frauenstimmrecht von 1939: «Als intellektuelle Leistung war diese Antwort sicher nicht auf dem Niveau, das man von einem freisinnigen Parteipräsidenten erwarten durfte, aber sie war zumindest ehrlich.» (175) Die Lektüre wirkt beklemmend. Generationen begabter Organisatorinnen und Vernetzerinnen rieben sich auf in einem frustrierenden und letztlich auch demütigenden Kampf. Die Autorin hat ihr Buch Marthe Gosteli gewidmet, einer jahrzehntelangen Kämpferin für das Frauenstimmrecht. Wie sähe die schweizerische Gesellschaft aus, wenn sich diese Frauen auf allen Ebenen der Politik schon 50 Jahre früher hätten engagieren können?
Heidi Witzig (Uster) in Traverse 2008/1