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Sternstunden oder verpasste Chancen

Zur Geschichte des Schweizer Buchhandels 1943–1952

Broschur
1995. 312 Seiten, 20 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-905311-61-7
CHF 48.00 / EUR 28.00 
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1943 setzte unter grossen Erwartungen auf die Nachkriegszeit in der Schweiz eine Verlagsgründungswelle ein: Zwischen 1943 und 1947 wurden jährlich durchschnittlich zwanzig Verlage gegründet, während bereits bestehende kräftig expandierten. Die Buchproduktion stieg von 1800 Titeln im Jahre 1940 auf 4700 Titel im Jahre 1948. Schon 1950 sprach der Artemis-Verleger Friedrich Witz von «verpassten Chancen».
Hat der Schweizer Buchhandel die einmaligen Chancen wahrgenommen, die sich aufgrund der besonderen Entwicklung im deutschen Sprachraum nach 1933 und durch die Kriegsereignisse ergeben hatten?
Die kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchung stellt mit mehrheitlich erstmals zugänglichen Quellen die Möglichkeiten und Einschränkungen dar, die dem Schweizer Buchhandel in der widersprüchlichen Zeit 1943–1952 gegeben waren.

«Ein spannendes Stück Buchhandels-und Verlagsgeschichte: Was geschah zwischen 1943 und 1952 im Schweizer Buchhandel?
Vor 1933 war der schweizerische eng mit dem deutschen Buchhandel verflochten. Während der nationalsozialistischen Herrschaft hatten sich in der Schweiz erstmals eigenständige Organisationsstrukturen herusgebildet. Wie reagierte der Buchhandel, insbesondere die Verlage, auf die sich verändernden Bedingungen nach 1942?»
Zürichsee-Zeitung

Pressestimmen

«Ein spannendes Stück Buchhandels-und Verlagsgeschichte: Was geschah zwischen 1943 und 1952 im Schweizer Buchhandel?
Vor 1933 war der schweizerische eng mit dem deutschen Buchhandel verflochten. Während der nationalsozialistischen Herrschaft hatten sich in der Schweiz erstmals eigenständige Organisationsstrukturen herusgebildet. Wie reagierte der Buchhandel, insbesondere die Verlage, auf die sich verändernden Bedingungen nach 1942?»
Zürichsee-Zeitung


Jürg Zbinden;
Sternstunden oder verpasste Chancen;
Zur Geschichte des Schweizer Buchhandels 1943-1952;
Chronos, Zürich 1995, 312 S., 20 Abb., Fr. 48.-;

«Die Studie setzt an, wo die 1987 erschienene Dissertation von Martin Dahinden über das «Schweizerbuch im Zeitalter von Nationalsozialismus und Geistiger Landesverteidigung» aufgehört hat. Jürg Zbinden untersucht für den Zeitraum 1943-1952 die intrikaten Wechselbeziehungen zwischen Kultur, Kommerz und Politik im Schweizer Buchhandel. Er wählt hierfür einen geräumigen systemtheoretischen Ansatz. Der organisierte Buchhandel interessiert wie bei Dahinden als soziales System. ;

Herbert Lang - während des Krieges Chef der Sektion Buchhandel der Armeestelle Presse und Funkspruch - sah 1944, nach der Zerstörung der Buchhandelsinfrastruktur in Leipzig, die «Sternstunde des Schweizer Buchhandels» gekommen. In der Tat entstanden zwischen 1943 und 1947 durchschnittlich zwanzig Verlage pro Jahr, darunter manche sogenannte Konjunkturverlage. Nur Arche, Artemis, Manesse und Classen vermochten sich langfristig zu halten. Die Buchproduktion stieg von 1800 Titeln im Jahr 1940 auf 4700 Titel im Jahr 1948. Neben Übersetzungsbelletristik blühte vor allem auch das Geschäft mit Klassikereditionen. Im Rezessionsjahr 1949 brach die literarische Gesamtproduktion ein. Nurmehr 3500 Titel erschienen. Überproduktion, stockende Absatzmöglichkeiten und Währungsabwertungen wichtiger Exportstaaten sorgten für eine Krise. Viele Verlage mussten das Handtuch werfen, das Exportvolumen entsprach nicht den Erwartungen. 1950 überstieg der Import ausländischer Bücher mengenmässig wieder den Export. Vorbei die Zeiten, wo die Schweizer Verleger fast 90 Prozent des inländischen Buchbedarfs deckten.;

Den Sternstunden stellt Zbinden bereits im Titel die «verpassten Chancen» gegenüber. Wenn die Gunst der Stunde nicht besser genutzt wurde, so lag dies zwar auch an unvorhersehbaren Exporthindernissen. Doch ungleich schwerer wogen die gewissermassen «hausgemachten» Versäumnisse des Schweizer Buchhandels. Als Klumpfuss erwies sich primär eine ebenso protektionistische wie konservativ-nationalistische Einstellung vieler Verleger, wie sie sich in der abgeschotteten Schweiz der dreissiger Jahre unter Kulturproduzenten sehr eigentümlich konsolidiert hatte. Das Kernstück der selbstinitiierten und schliesslich staatlich sanktionierten Schutzpolitik bildete zweifellos der Bundesratsbeschluss zum «Schutz des schweizerischen Buchverlags gegen Überfremdung» vom 3. November 1944, der schon klar auf die Nachkriegszeit hin definiert war. Er blieb bis 1951 in Kraft. Der Verband Schweizerischer Verleger vermochte den Bundesrat unter ÐKulturwartð Philipp Etter dank geschickter Interventionstätigkeit davon zu überzeugen, dass die Branche einer schützenden staatlichen Hand bedürfe. Was noch 1950 im Nationalrat von Etter als Abwehr unerwünschter, weil unschweizerischer Doktrinen und Gedanken getarnt wurde, stellte in Wirklichkeit eine willkommene Gelegenheit dar, um die befürchtete ausländische Konkurrenz in Schranken zu halten. Der Beschluss belegt, wie das bundesrätliche Vollmachtenregime staatsnahes Verhalten im kulturwirtschaftlichen Sektor mit Schutzgarantien für die ökonomischen Produktions- und Distributionsbedingungen honorierte. Auf politischem Weg verschaffte sich der Buchhandel bedenkliche Wettbewerbsvorteile. Dieser «Tausch staatlicher Protektion gegen Ideologiegarantie» (Zbinden) vollzog sich, wie der Autor in verschiedenen Fallstudien darlegt, auch bei anderen literarischen Instanzen (Literaturwissenschaft, Literaturförderung), wenngleich sublimer, weniger spektakulär. Die Verleger retteten ein ideologisches Denken in die Nachkriegszeit; schon Mitte der dreissiger Jahre hatte dieses Denken erfolgreich verhindert, dass sich aus Deutschland vertriebene Autoren, Verlage, Lektoren in der Schweiz niederlassen konnten. Zbinden vergleicht die belletristischen Verlagsprogramme von Artemis (Friedrich Witz) und Suhrkamp nach dem Krieg. Während heute kaum mehr ein Artemis-Titel lieferbar ist, hat Suhrkamp damals in Autoren wie Hesse, Proust, Beckett, Benjamin, Brecht, Frisch investiert, die noch heute das Rückgrat des Verlages darstellen.;

Zbindens Analyse lanciert die kultur- und institutionengeschichtliche Beschäftigung mit dem System oder Markt der Literatur neu. Bislang wurden literarische Einrichtungen (Schriftstellerverband, Lesezirkel Hottingen, das NZZ-Feuilleton unter Eduard Korrodi, die Zürcher Frei;.c1.agsrunde, Pro Helvetia, Schauspielhaus Zürich, diverse Verlags- und Verlegergeschichten) vorwiegend phänomenologisch-deskriptiv oder in euphemistischen Selbstdarstellungen abgehandelt. Die Beantwortung der Frage, wie innerhalb dieser Instanzen Politik gemacht wurde, wie Machtkämpfe mit anderen Mitteln ausgetragen und übergreifende hegemoniale Ideologien und Mentalitäten konstituiert und legitimiert wurden, bedarf jedoch eines sozialwissenschaftlich fundierten Ansatzes, der das literarische Produktionsfeld bei all seiner relativen Autonomie in ein übergeordnetes ökonomisches und politisch-intellektuelles (Markt-)Sy-stem integriert. ;
.c1.Allerdings: Um nur schon den literarischen «Mikrokosmos Zürich», die enge Verzahnung von Literatur, Buchhandel, Literaturkritik, Literaturförderung und Literaturwissenschaft, wie sie Zbinden flüchtig skizziert, für den Zeitraum 1930-1950 befriedigend ausdifferenzieren zu können, wären noch erhebliche institutionengeschichtliche Vorarbeiten zu leisten. Die materialreiche Dissertation Zbindens lässt so vor allem auch die Forschungsdefizite aufscheinen, die abzutragen wären, wenn über den Buchhandel hinaus Licht in die Schweizer Literaturverhältnisse gebracht werden soll.;

Julian Schütt (Zürich);

Traverse 1996/2 (155-157)