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Klerikale Karrieren

Das ländliche Chorherrenstift Embrach und seine Mitglieder im Mittelalter

Gebunden
1997. 649 Seiten
ISBN 978-3-905312-45-4
CHF 84.00 / EUR 49.00 
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Die Erforschung der Geschichte von Dom- und Chorherrenstiften hat Tradition. In der vorliegenden Studie wird für einmal nicht ein Hochstift oder eine städtische Chorherrengemeinschaft behandelt, sondern das kleine Landstift Embrach. Dabei gelangen Fragestellungen der modernen Stiftsgeschichtsforschung zur Anwendung, wenn nicht institutionsgeschichtliche Aspekte, sondern sozial- und personengeschichtliche Fragestellungen im Vordergrund stehen. Die im umfassenden Anhang abgedruckten 235 Lebensläufe von Klerikern, die am Stift Embrach bepfründet waren oder sich um ein Benefizium am Landstift bewarben, sind grundlegend für die Untersuchung. So geben die Klerikerviten zum Beispiel Auskunft über die Zusammensetzung des Embracher Stiftskapitels, welche sich von den Anfängen der geistlichen Gemeinschaft bis zur Auflösung des Stifts im Jahre 1524 durch den Einfluss äusserer Umstände änderte. Im 13. und 14. Jahrhundert dominierten am Stift Vertreter von Ministerialgeschlechtern der habsburgischen Landesherrschaft. Zur Blütezeit des päpstlichen Benefizienwesens versuchten "fremde" Kleriker mit unterschiedlichem Erfolg, eine Pfründe in Embrach zu erlangen, während in den Jahrzehnten vor der Reformation das Stift unter den Einfluss der expandierenden Stadt Zürich geriet und die Kanonikate von Söhnen aus Zürcher Ratsgeschlechtern versehen wurden. In "Klerikale Karrieren" werden zudem anhand ausgesuchter Fälle die Mechanismen bei der Vergabe von kirchlichen Pfründen aufgezeigt. Der Überblick über die zu vergebenden Benefizien und die Zugangswege zu ihnen ist dabei von allgemeinem Interesse.

Besprechungen

Stifte zwischen Kurie und Landesherrschaft

Eine Publikation zur Geschichte des Chorherrenstifts Embrach

Kriegszerstörungen und die Säkularisierung haben im Lauf der Jahrhunderte
beinahe alle Spuren getilgt, die an die kirchliche Vergangenheit Embrachs
erinnern. Eine kürzlich erschienene Untersuchung befasst sich mit dem im
11. Jahrhundert erstmals erwähnten Chorherrenstift Embrach und seinen
Chorherren.

Nur gerade das Gemeindewappen - zwei gekreuzte silberne Schlüssel,
Attribute des heiligen Petrus - erinnert an die bedeutende kirchliche
Vergangenheit Embrachs. Dort befand sich spätestens seit dem
11. Jahrhundert ein Chorherrenstift mit einer dem Petrus geweihten
Stiftskirche. Zerstörungen im Sempacher- und Alten Zürichkrieg sowie die
Säkularisierung 1524 zogen allerdings die Gebäulichkeiten und die
schriftliche Überlieferung so stark in Mitleidenschaft, dass die einstige
Stiftsherrlichkeit fast völlig in Vergessenheit geriet. Eine kürzlich
erschienene, an der Universität Zürich verfasste Dissertation der
Historikerin Béatrice Wiggenhauser setzt sich nun unter dem Titel «Klerikale
Karrieren - Das ländliche Chorherrenstift Embrach und seine Mitglieder im
Mittelalter» ausführlich mit dem Stift und seinen Chorherren auseinander.

Klerikale Lebensläufe

Trotz der insgesamt eher schwierigen Quellenlage versucht die Autorin einen
neuen, über die bisherigen institutionen- und wirtschaftsgeschichtlichen
Darstellungen hinausreichenden Zugang zum Stift Embrach zu finden. Im
Zentrum der Untersuchung stehen - als Vorbild dienen Forschungen zu den
Stiften in Zürich oder Zofingen - die Kleriker. In mühseliger Kleinarbeit,
die sogar das Vatikanische Geheimarchiv einbezieht, werden die Lebensläufe
sämtlicher 235 in Embrach nachweisbaren Chorherren und Bewerber verfolgt,
um so die Karrierenwege und -strategien aufzuspüren, die zum Erwerb der
begehrten (und knappen) Pfründen führten.
Den Schlüssel zum Verständnis der personellen Zusammensetzung eines Stiftes
bildet damit das Pfründenwesen. Pfründen garantierten den Klerikern ein
festes Einkommen und ökonomische Sicherheit bei bescheidenen
Verpflichtungen, waren aber ohne besondere Beziehungen praktisch
unerreichbar. Was aus heutiger Sicht abschätzig als Nepotismus oder
Klientelismus bezeichnet wird, gehörte im Mittelalter zu den unabdingbaren
Massnahmen im Kampf um eine soziale Stellung. Je einflussreichere Bekannte
und Verwandte man hatte, desto grösser war die Chance, an ertragreiche
Pfründen zu kommen. Die Arbeit von Wiggenhauser zeigt nun detailliert auf,
welche Möglichkeiten Bewerbern um eine Chorherrenpfründe in Embrach
offenstanden und wie erfolgreich deren Vorgehen im einzelnen war.

Durch Beziehungen zu Pfründen

Da Embrach als kleines Landstift verschiedensten Interessen ausgesetzt war,
mussten sich grundlegende politische und gesellschaftliche Entwicklungen des
Spätmittelalters auch im Stiftsalltag niederschlagen: Im 13. und
14. Jahrhundert vermochten sich vor allem Angehörige von habsburgischen
Ministerialenfamilien Pfründen zu sichern, da die österreichischen Herzöge
als landesherrliche Schirmvögte des Stiftes ihren Einfluss zur Entschädigung
ihrer Klientel ausnutzten. Mit der zunehmenden Bedeutung des päpstlichen
Provisionenwesens - der Papst behielt sich die Besetzung bestimmter
Pfründen vor - öffnete sich das Stift für Kleriker, die nicht aus der Region
stammten, aber über ausgezeichnete Beziehungen zur Kurie verfügten. Dieses
päpstliche Recht ging 1479 an die neue landesherrliche Obrigkeit in Zürich
über, die nun dafür sorgte, dass im ausgehenden Spätmittelalter nur noch
Geistliche aus der stadtzürcherischen Oberschicht einen Chorherrensitz in
Embrach erhielten.
Der Wandel in der personellen Zusammensetzung des Stiftes spiegelt so die
Geschichte einer für die Region wichtigen kirchlichen Gemeinschaft wider
und vermag die zahlreichen Lücken in der schriftlichen Überlieferung
wenigstens teilweise zu überbrücken. Auch wenn die prosopographische
Auswertung die Unterschiede zwischen Chorherren und Bewerbern manchmal
allzu stark vernachlässigt und Karrieren, Beziehungsnetze und Alltagsleben
etwas gar blass bleiben - ausführlichere Schilderungen einzelner
Klerikerschicksale hätten mehr Farbe in Pfründenwesen und
Familienstrategien gebracht -, leistet das Werk einen wichtigen Beitrag zur
Kirchen- und Regionalgeschichte. Mit der Verknüpfung von Personen,
Landesherrschaft und Kurie gewinnt nicht nur die Vergangenheit von Embrach
deutlichere Konturen, sondern auch die Funktion eines Landstiftes.
Peter Niederhäuser

Béatrice Wiggenhauser: Klerikale Karrieren. Das ländliche Chorherrenstift
Embrach und seine Mitglieder im Mittelalter. Chronos-Verlag, Zürich 1997.
650 S., Fr. 84.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.

Neue Zürcher Zeitung ZÜRICH 08.01.1998 Nr. 5 45