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«Bisogna amare la patria come si ama la propria madre»

Nationale Erziehung in Tessiner Lesebüchern seit 1830

Broschur
1994. 180 Seiten
ISBN 978-3-905311-40-2
CHF 36.00 / EUR 20.00 
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Welche Bilder der Schweiz finden Kinder und Jugendliche in ihrer Literatur? Was für Leitbilder werden angeboten in Texten, die speziell für Kinder und Jugendliche veröffentlicht werden? Wie unterscheiden sich solche Texte je nach Sprachregion? Mit solchen Fragen befassen sich die vorliegenden Publikationen.
Die Kinder- und Jugendliteratur ist in ihren bis heute gültigen Formen im ausgehenden 18. Jahrhundert entstanden als Teil des neuen Erziehungssystems, dessen Ziel der «zivilisierte», an die bürgerliche Produktions- und Lebensweise angepasste Erwachsene war. Der Kinderliteratur fällt in diesem System die Rolle zu, Sachwissen und ethische Vorstellungen anschaulich und unterhaltsam zu vermitteln. Von daher bietet die Kinderliteratur aufschlussreiches Material zur Mentalitätsgeschichte.
Die Schweizer Kinderliteratur hat von Anfang an besonderes Gewicht auf staatsbürgerliche Tugenden gelegt. Die Autorinnen untersuchen diese Tugenden in zwei Bereichen, in denen in besonderem Mass politische Intentionen und gesellschaftliche Prozesse wirksam werden: Lesebücher und Erzählungen aus der Schweizer Geschichte.
Die drei Arbeiten befassen sich mit Lesebüchern der deutschen und französischen Schweiz seit Ende des 19. Jahrhunderts, den Tessiner Lesebüchern seit 1830 und mit historischen Erzählungen aller Sprachregionen. Sie stellen ihre Entwicklung und die Produktionsbedingungen dar sowie die in ihnen vermittelten Wertvorstellungen. Interessiert hat vor allem der Zusammenhang mit jenen politischen Tendenzen in der Schweiz, die jeweils verstärkte Bemühungen um ein nationales Bewusstsein hervorriefen. Ausgangspunkt für eine eingehendere Interpretation der historischen Erzählung sowie der Lesebücher sind die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts: Aus pädagogischen und auch politischen Gründen setzte damals eine neue Entwicklung in der Konzeption von Lesebüchern sowie in der Beurteilung von Jugendbüchern ein.
Die Einzelarbeiten gehen Fragen der regionalen Eigenheiten und der kulturellen Vielfalt nach. Im Vergleich untereinander geben sie weiteren Einblick in unterschiedliche Konstruktionen einer «schweizerischen Identität» in den verschiedenen Sprachregionen.

Besprechungen

Sonderfall Tessin

Nationale Erziehung in Lesebüchern

gew. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Kulturelle Vielfalt und
nationale Identität» sind am Schweizerischen Jugendbuchinstitut drei
Studien entstanden, die sich mit dem Thema «Historische Jugendbücher und
Lesebücher in der Schweiz» auseinandersetzen. Zwei der Arbeiten beschäftigen
sich mit Texten aus beinahe dem gesamten Bundesgebiet (vgl. NZZ 20. 3. 96),
eine Untersuchung jedoch ist ausschliesslich den Lesebüchern im Tessin
gewidmet. Und das hat seine Gründe.
Denn wie Doris Senn in ihrer Studie «Bisogna amare la patria come si ama la
propria madre. Nationale Erziehung in Tessiner Lesebüchern seit 1830»
feststellt, hat sich kein Kanton so intensiv mit seiner Identität (regional
und national) auseinandergesetzt wie das Tessin. Diese Tatsache fand auch
ihren Niederschlag in den offiziellen Schullesebüchern. Den Hauptteil ihrer
Studie hat Doris Senn den Lesebüchern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
gewidmet. Dabei machte sie einige äusserst interessante Entdeckungen: etwa
jene, dass der «Soldat» gerade wegen der mehrheitlich äusserst
distanzierten Haltung der Tessiner(innen) zur Schweizer Armee zu einer
wichtigen Symbolfigur für Vaterlandsliebe wurde; oder dass viele Texte der
Lesebücher der «Ära Tosetti» (1900 bis 1940) das Thema kulturelle Identität
durch politisch aktuelle Stellungnahmen auf einer abstrakten Ebene
reflektierten. Ein echter Sonderfall unter den Schweizer Lesebüchern dieser
Zeit.

Doris Senn: Bisogna amare la patria come si ama la propria madre. Nationale
Erziehung in Tessiner Lesebüchern seit 1830. Chronos-Verlag, Zürich 1994.
176 S., Fr. 24.80.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung FEUILLETON 22.05.1996 Nr. 117 47