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Aufstieg und Niedergang des Bilateralismus
Schweizerische Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik 1930-1960: Rahmenbedingungen, Entscheidungsstrukturen, Fallstudien
Schweizer Beiträge zur internationalen Geschichte – Contributions suisses à l'histoire internationale, Band 1
Broschur
1999. 624 Seiten
ISBN 978-3-905313-13-0
CHF 68.00 / EUR 39.00 
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Welche Grundsätze kennzeichneten die Aussenpolitik der Schweiz in den 1930er, 40er und 50er Jahren? Die Aufsatzsammlung umreisst das Phänomen des «Bilateralismus», das in dieser Periode in bestimmten Staaten zum wichtigsten Ansatz wurde, um mit den Folgen der Weltwirtschaftskrise und des heissen und kalten Krieges fertig zu werden. An die Stelle des freien Welthandels traten Devisenbewirtschaftung und Clearingsystem. Dies führte zu massiven staatlichen Eingriffen in die Aussenwirtschaft. Gleichzeitig war der Bilateralismus ein Einfallstor für die Wirtschaftsverbände, die sich vermehrt auf dem diplomatischen Parkett tummelten. Sonderinteressen etwa der Käse- und Textilexporteure schienen im Bilateralismus besser durchsetzbar zu sein.
Von der Öffentlichkeit wenig beachtet blieb, dass sich die Schweiz mit dem Bilateralismus ab 1934 immer mehr in den nationalsozialistisch beherrschten Wirtschaftsgrossraum einfügte. Fallbeispiele zeigen die starke Orientierung führender Kreise am «Neuen Europa» auf.
Nach dem Krieg setzte die Schweiz den Bilateralismus fort, um eine von den USA möglichst unabhängige Weltmarktintegration zu bewerkstelligen und sich den Druckversuchen wegen den Verstrickungen mit Nazi-Deutschland zu entziehen. Die vorerst hohen Erwartungen gegenüber Mittel- und Osteuropa und den sich dekolonisierenden Ländern Asiens und Afrikas erwiesen sich aber als Illusion. So wie das «Neue Europa» untergegangen war, hatte in der Nachkriegszeit auch das mit dem Bilateralismus verknüpfte Konzept einer «dritten Kraft» in einer sich rasch bipolarisierenden Welt keine Chance.

Peter Hug, geb. 1955, Dr. phil., ist Historiker in Bern.


Bücher im Chronos Verlag


Aufsätze im Chronos Verlag

Inhalt
Peter Hug, Martin Kloter: Der «Bilateralismus» in seinem multilateralen Kontext. Die Aussenpolitik der Schweiz zur Sicherung ihres Aussenhandels und Zahlungsverkehrs, 1920/30­1958/60
Thomas Gees: Interessenclearing und innere Absicherung. Zur Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Privatverbänden in der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik, 1930­1960
Paolo Scognamiglio: Exportinteressen und politisch-ideologische Ablehnung. Die Handelsbeziehungen der Schweiz mit dem nachrevolutionären Mexiko in der Zwischenkriegszeit
Severin Gerber: Ein wirtschaftliches Eldorado des Ostens? Die schweizerisch-rumänischen Handelsbeziehungen, 1919­1924 und 1940­1954
Michele Coduri: Argent et bons offices. Implications économiques de la protection des intérêts alliés en Extréme-Orient pendant la Deuxième Guerre mondiale
Daniel C. Schmid: Gezählt, gewogen, geteilt. Diplomatische Beziehungen zwischen der Schweiz und der Tschechoslowakischen Republik, 1938/39
Iris Nussbaum: Landesversorgung, Maschinenexporte und Finanztransfers. Aspekte der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik gegenüber dem franquistischen Spanien 1939­1949
Sébastien Farré: La Suisse et l'Espagne: de la reconnaissance du franquisme à l'émigration économique. Un aperçu des relations bilatérales hispano-suisses, 1939-1964
Thomas Minger: Bund und Kantone im aussenpolitischen Clinch. Die Regelung des Polizeiregimes in den französisch-schweizerischen Grenzbahnhöfen und auf dem Flughafen Basel-Mülhausen nach 1945
Therese Steffen Gerber: «Eine Abordnung mit zeitlich begrenztem Auftrag». Die Schweizerische Heimschaffungsdelegation in Berlin und die Beziehungen der Schweiz zur Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands in den Jahren 1945­1949
Christoph Späti: Handelserwartungen und Entschädigungsstreit. Die schweizerisch-tschechoslowakischen Beziehungen im Spannungsfeld des Ost-West-Konfliktes, 1945­1953
Christoph Meyer: Wilhelm Tell und der Osthandel. Innenpolitische Aspekte des schweizerischen Osthandels, 1950­1971
Roland Maurhofer: Zwischen Schadensbegrenzung und Solidarität. Schweizerisch-britische Verständigung am Beispiel des Zahlungsabkommens von 1946 und der Gründungsphase der OECE und EZU, 1948­1950
Barbara Schuler, Urs Pfenninger: Die Schweiz ­ ein früher Freund Israels? Ausbau und Festigung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Israel
Rina Dey: Euphorie und Ernüchterung. Die Anfänge und der Wandel in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Indien, 1947­1960
Patrik Eigenmann: Die Bildung bilateraler Koalitionen im Rahmen der multilateralen technischen Hilfe. Die Schweiz und der ECOSOC, 1956­1965

Besprechungen
Die Blütezeit des Bilateralismus Schweizerische Aussen( wirtschafts)politik 1930-1960 tmn. An vier Kolloquien haben 18 meist jüngere Forscherinnen und Forscher im Umfeld des Nationalen Forschungsprogramms 42 («Die Aussenpolitik der Schweiz 1937-1989») Studien präsentiert und diskutiert, die Peter Hug und Martin Kloter in einem voluminösen Sammelband mit einer ebenfalls umfangreichen Einführung präsentieren. Die Jahre von der Weltwirtschaftskrise bis zum Europäischen Währungsabkommen von 1958 werden deshalb als zusammengehöriger Block erfasst, weil in ihnen die - für die stark exportorientierte Schweiz kapitalen - Aussenwirtschaftsbeziehungen wie nie zuvor oder danach reguliert waren und auf Grund nationalwirtschaftlicher Kriterien beurteilt wurden, so dass in dieser Periode ein von den Interessenverbänden mitgetragener Bilateralismus dominierte. Europäische Vernetzungen 1913 entsprach der Export einem Drittel des Nettosozialprodukts, 1932 waren es noch 10 Prozent, 1945 nicht viel mehr, und die 25,9 Prozent von 1924 sollten erstmals 1969 wieder übertroffen werden (zum Vergleich: 1995 waren es 28,3 Prozent). Der radikale Zusammenbruch der Exporte und die daraus folgenden Probleme der Zahlungsbilanz veranlassten die Schweiz ab 1931, dem interventionistischen Beispiel der meisten anderen Länder zu folgen und die Einfuhren mit Importkontingentierungen und der Abwertung von 1936 in den Griff zu bekommen. Dazu kam der eigentliche Bilateralismus, der Importkontingente gleichsam im Tausch gegen Exportmöglichkeiten für international beschränkt konkurrenzfähige «non-essentials» zugestand (Textilien, Uhren, Landwirtschaftsprodukte) und gegebenenfalls den Handelspartnern mit staatlichen Krediten beistand. Sein Hauptinstrument war der durch zwischenstaatliche Verträge gebundene Handels- und Zahlungsverkehr als eine Form der Devisenbewirtschaftung. Ab 1934 lenkte dies den Aussenhandel - nicht ohne politische Relevanz - zulasten der (überseeischen) Länder mit freiem Devisenverkehr in das deutsch-kontinentale System des Clearings um, vor dem Krieg mit dem Ziel der Exportförderung, ab 1939 zur Landesversorgung. Ab dem Kriegsende spielte ein ähnliches Netz von Zahlungsabkommen, das um das britische Pfund gruppiert war - also auch diesmal ein Wirtschaftsraum, der mit dem Dollar konkurrierte. Darin suchte die Schweiz bis Mitte der fünfziger Jahre handelspolitisch einen europäischen «dritten Weg» zwischen den Blöcken, unter Einschluss Osteuropas, neuer Märkte in Übersee und vor allem der Kolonien. Das vom Krieg nicht versehrte Gläubigerland benutzte dafür die schon bis Herbst 1947 gesprochenen 1,17 Mrd. Fr. (Währungs-)Kredite, damit im Gegenzug die Rückzahlung von Altforderungen zugesagt wurde - Clearingschulden, Kredite, Internierungskosten und Entschädigungsbegehren im Gesamtwert von 9,4 Mrd. Fr. (1947). Insbesondere gegen die amerikanische Hegemonie richtete sich die Schweizer Weigerung, eine Zahlungsbilanzstatistik zu erstellen, welche unter anderem die Devisenflucht illustriert hätte. Wenn die Schweiz auf Distanz zu Institutionen blieb, die von den USA dominiert schienen (IMF, Gatt), so verweigerte sie sich nicht einer Multilateralisierung des Zahlungsverkehrs. Der 1948 gegründeten Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECE) trat sie ebenso bei wie der Europäischen Zahlungsunion (EZU) von 1950, die auf der Basis der Nichtdiskriminierung den Warenverkehr und möglichst auch die unsichtbaren Transaktionen schrittweise zu liberalisieren bezweckte. Von der Landwirtschaft und «militärpolitisch begründetem Heimatschutz» für Saurer-Lastwagen abgesehen, baute die Schweiz Mengenbeschränkungen beim Import rasch unter die in der OECE vereinbarten Werte ab. Mit der Gründung der EWG (1957) und der freien Konvertibilität der westeuropäischen Währungen (Anfang 1959) näherte sich die Schweiz doch dem Gatt an, um Diskriminierungen durch die neuen Zollschranken in Europa zu begegnen. 1967 wurden im gebundenen Zahlungsverkehr noch 2,4 Prozent der Einfuhren und 4,2 Prozent der Ausfuhren beglichen, 1975 wurde das letzte Clearingabkommen (mit der DDR) aufgehoben. Innenpolitische Implikationen Der gebundene Handelsverkehr provozierte zwingend interne Verteilungskämpfe und Quotenregelungen - welche Branchen und Unternehmen durften am beschränkten Aussenhandel teilhaben, und wie konnten die widerstreitenden Interessen von Export- und Binnenwirtschaft, Finanzplatz oder Tourismus ausgeglichen werden? Der in einem eigenen Beitrag von Thomas Gees erörterte innere Ordnungsbedarf machte die intensive Mitarbeit der Wirtschaftsverbände unabdingbar, die in der 1927 gegründeten Schweizerischen Zentrale für Handelsförderung zusammengefasst waren, wobei der Vorort dominierte. Dessen Direktor, Heinrich Homberger, sass mit seinem Studienkollegen Jean Hotz, dem Direktor der Handelsabteilung des EVD, bis 1954 gemeinsam in 20 Wirtschaftsdelegationen - so während des Krieges in den spannungsreichen Verhandlungen mit Deutschland und den Alliierten. In einer oft auf das Aushandeln von Wirtschaftsverträgen reduzierten Aussenpolitik war die Kooperation mit Verbänden die Regel: In den vierziger Jahren stellten sie fast ein Drittel der Vertreter in Verhandlungsdelegationen, die Verwaltung bloss die Hälfte, was einem koordinierten Auftritt nicht förderlich war. Mit den Wirtschaftsartikeln von 1947 wurde dieser helvetische Korporativismus durch die Verfassung anerkannt und manche strukturerhaltende Schutzmassnahme später als Gebot der Kriegs- und Krisenvorsorge in die multilaterale Zeit hinübergerettet. Der vorliegende Sammelband vereint als Pionierwerk - leider ohne Index - solide Forschungen auch zu konkreten bilateralen Handelskontakten mit Partnern von Spanien über Israel bis Indien und Mexiko. Vorgeführt werden Bedingungen und Konstanten der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik, die etwa in der den Osten einschliessenden gesamteuropäischen Ausrichtung einer Logik gehorchte, die mit anderen militärischen, innen- und aussenpolitischen Positionsbezügen längere Zeit nicht übereinstimmte. Die Herausgeber reden deshalb von einem «gestaffelten» Eintritt der Schweiz in den Kalten Krieg; denkbar ist auch die Interpretation als ebenso konstitutiver wie systematisch verkannter Widerspruch zwischen dem ökonomischen Pragmatismus und dem zugleich prononciert politischen Selbstverständnis der Schweizer. Peter Hug, Martin Kloter (Hrsg.): Aufstieg und Niedergang des Bilateralismus. Schweizerische Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik 1930-1960. Rahmenbedingungen, Entscheidungsstrukturen, Fallstudien. Chronos, Zürich 1999. 624 S., Fr. 68.-. Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 09.06.2000 Nr. 133 17