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Rabins Tod

Ein Essay

Broschur
1996. 60 Seiten
ISBN 978-3-905311-92-1
CHF 24.00 / EUR 14.00 
  • Kurztext
  • Autor/in
  • In den Medien

Und wenn dann einer kommt, der dem Frieden nicht traut, und er weiss sich berufen, den nächsten Genozid seines Stammes zu verhüten. Und er schiesst ...

Dieser Essay ist in den Tagen und Nächten verfasst worden, die uns alle im Schock gefunden haben; damals, als der Bericht über Jizhak Rabins Tod - und über was für einen Tod! - zu uns gekommen ist. Als dann die Schwaden dieses Schocks sich zu heben begonnen haben, ist manches deutlicher geworden. Etwas von dem, was mir deutlich wurde, steht in diesen Blättern aufgeschrieben.

«Der Autor will mit seinen Ausführungen über den Fundamentalismus gegen den allgemeinen Trend anschreiben, der den Fundamentalismus pauschal verurteilt. Wohin die Aufweichung führe, zeige das Christentum.»
die tageszeitung

«Perlen von Bodenheimers Büchlein sind zwei Fallstudien von Beinahe-Attentätern, einem Juden und einem Palästinenser, die durch eine psychotherapeutische Behandlung nicht von ihrem Fundamentalismus, wohl aber von Mordtaten abgebracht werden konnten. Auch an diesen Einzelfällen wird deutlich, dass Fundamentalismus kein Synonym für Mord, Terror und Krieg ist.»
Frankfurter Rundschau

Pressestimmen

«Der Autor will mit seinen Ausführungen über den Fundamentalismus gegen den allgemeinen Trend anschreiben, der den Fundamentalismus pauschal verurteilt. Wohin die Aufweichung führe, zeige das Christentum.»
die tageszeitung


«Perlen von Bodenheimers Büchlein sind zwei Fallstudien von Beinahe-Attentätern, einem Juden und einem Palästinenser, die durch eine psychotherapeutische Behandlung nicht von ihrem Fundamentalismus, wohl aber von Mordtaten abgebracht werden konnten. Auch an diesen Einzelfällen wird deutlich, dass Fundamentalismus kein Synonym für Mord, Terror und Krieg ist.»
Frankfurter Rundschau


Besprechungen

Israel und der Fundamentalismus

Eine Betrachtung über Rabins Tod

Für Aron Ronald Bodenheimer, Jude und Psychiater in Zürich, ist die
Ermordung von Premierminister Rabin ein Anlass geworden, um über Israel und
das Judentum nachzudenken. Nicht dass er es zum erstenmal täte. Er hat sich
ein Leben lang mit diesen Fragen beschäftigt. Eine «Hinrichtung» Rabins habe
stattgefunden, schreibt Bodenheimer, nicht etwa ein Mord. Der Terrorist, der
dahinterstehe, heisse «Allmächtiger Monotheistischer Gott», «der Herr».

Scharfrichter Yigal Amir

Der grösste Teil des kurzen, aber gewichtigen Buches liest sich denn auch
wie eine Art Apologie des «Scharfrichters» Yigal Amir, «dieses
Verbrechers». Er habe, so sieht es der Verfasser gewiss richtig, aus
innerster Überzeugung gehandelt, als ein rechter Fundamentalist, eine jener
Personen, die ihr Leben der Aufrechterhaltung der Glaubensgrundlagen
widmen, um dann auf diesem Fundament unter Geringachtung der äusseren Welt
auf die Ewigkeit hin zu leben.
Es folgt ein umfangreiches Lob dieser Fundamentalisten. Verdankt das
Judentum ihnen nicht das Fortbestehen der Substanz seines Glaubens über die
Jahrhunderte der Verstreuung hinweg? Kann es, ohne einen spezifischen
Glauben, überhaupt eine Moral geben, so dass man ohne derartige Fundamente
auskäme? Der Verfasser lässt diese Frage offen, erst die Zukunft, so glaubt
er, werde über sie entscheiden. Er scheint jedoch nicht wirklich an den
«kategorischen Imperativ» zu glauben, «weil man ihn sich nicht vorstellen
kann». Um so wichtiger seien jene Fundamente, um derentwillen, wenn es nicht
anders gehe, auch getötet werden müsse.

Eine Provokation

In all diesen ausführlichen Aussagen zugunsten des Mörders und
Fundamentalisten liegt natürlich eine beträchtliche Portion bewusster
Provokation. Sogar Wilhelm Tell wird bemüht als mit Amir vergleichbarer
Mörder. Der Psychiater dürfte solche Provokationen als notwendig erachten,
um der gedankenlosen Verurteilung der «Fundis» entgegenzutreten, die heute
bei uns zur bequemen Mode geworden ist. Er will darauf hinweisen, dass die
Bewahrer der Grundlagen um jeden Preis gerade im Judentum, aber auch in
allen anderen Religionen, in denen sie aktiv geworden sind, Entscheidendes
tun, um die Substanz der Religion, «die reine Flamme», zu bewahren und
unversehrt weiterzugeben. Wer seine Religion ernst nehme, müsse in einer
gewissen Art Fundamentalist sein, so macht er deutlich, wenn er gleich,
freilich mit beissender Ironie, die gegenwärtige Lage der Christen erkennt
und beschreibt, denen neuerdings «alles erlaubt» sei, wenn es nur niemandem
zu sehr weh tue.
Was das Judentum angeht, so hat die Gründung des Staates Israel im Urteil
des Verfassers eine Wende gebracht. Den Judenstaat haben ja bekanntlich
nicht die Fundamentalisten gegründet und aufgebaut, sondern Säkularisten
mit «roten» Idealen; nicht der Einzige Gott, «sondern Ben Gurion mit seinen
linken Genossinnen und Genossen». Am Ende sei freilich der Staat der Juden
zu einem wohlhabenden Land geworden, amerikanisiert und vom Tourismus
bespült. Die «Formel vom Postzionismus wurde geläufig. Aber von Post- kann
man nicht leben.» Seit der Gründung des Staates, so sieht es der Verfasser,
gebe es nun zwei Sorten von Judentum. Das blonde «Muskeljudentum» neuer Art,
das dann dem Westen verfallen sei, wodurch Israel «seine Substanz verlor»,
und jenes der Fundamentalisten, die sich als Retter anböten, obgleich sie
und gerade weil sie sich weigerten, ganz dem gottlosen Staat der Juden
anzugehören. Für sie geht es um die Substanz der jüdischen Fundamente, der
entkörperten Lehre, die sie als Wandervolk durch die Jahrhunderte der
Diaspora trugen, während die anderen, die Säkularisten in Israel, «dem Volk
seine Materie zurückgegeben haben».

Psychoanalytische Heilung?

Ideologisierte Störungen des psychischen Gleichgewichts, so heisst es in den
Schlussbetrachtungen, liessen sich nicht mit Medikamenten behandeln. Hier
liegt wohl ein Schlüssel, mit dem man die provokativen Worte vom rettenden
Fundamentalismus zu nuancieren hätte. Rettend, damit gerechtfertigt und
sogar preiswürdig, mag er sein, wo er sich mit Gott beschäftigt. Gefährlich
hingegen wird er als Ideologie. Dann nämlich, wenn das Gesetz um seiner
selbst willen, ohne den Gesetzgeber mit im Auge zu halten, zur Richtschnur
für Leben und Tod, auch für alle politischen Entscheide, gemacht werden
soll; denn das führt zu einer Erstarrung, die unsere und Gottes flexible
Welt, die ohne abwägende Kompromisse nicht auskommt, zu zertrümmern droht -
im Extremfall durch Schüsse.
Indirekt deutet dies der Verfasser selbst an, indem er abschliessend von
zwei Fällen berichtet, in denen religiös gerechtfertigte Mordbereitschaft
durch psychoanalytische Behandlung beseitigt werden konnte, dem eines Juden
und dem eines Palästinensers. Er fordert sogar, dass Yigal Amir eine solche
Behandlung zuteil werde, so dass für ihn «die Welt und das Selbst in
lebbarer Form zueinander gebracht» werden könnten.
Die Betrachtung bietet letztlich keine Erklärung für den Mord an Rabin; denn
die Tat bleibt unverständlich, auch wenn die Motive des Täters verdeutlicht
werden. Der Verfasser gibt dies am Ende zu, wenn er eine Therapie für den
«schönen jungen Mann» fordert, obwohl er sich weigert, ihn als «verrückt»
einzustufen. Etwas müsste offenbar doch zurechtgerückt werden. Was die
kleine Schrift über den Tod Rabins leistet, ist ein Einblick in die tieferen
Hintergründe des inneren Ringens, welches das Judentum heute gerade darum
mit sich selbst austragen muss, weil es sich, plötzlich und erfolgreich,
nach so vielen Jahrhunderten der Landlosigkeit, eine physische und
politische Heimat geschaffen hat.
Arnold Hottinger

Aron Ronald Bodenheimer: Rabins Tod. Ein Essay. Chronos-Verlag, Zürich
1996. 101 S., Fr. 24.-.

Abgedruckt mit freundlicher Genehmigung der NZZ.
Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR 25.02.1997 Nr. 46 11