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Der frohe Tanz der Gleichheit
Der Freiheitsbaum in der Schweiz (1798–1802)
Broschur
1996. 280 Seiten
ISBN 978-3-905311-79-2
CHF 48.00 / EUR 29.00 
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Rund 7000 Freiheitsbäume seien 1798 in weniger als vierzehn Tagen in der Schweiz aufgestellt worden. Wo um die einen getanzt, gesungen und gegessen wurde, da waren andere die Kulisse für Gewaltrituale, Demütigungen und brennende Burgen. An ihnen entzündeten sich hitzige ideologische Debatten, und der Volkswitz, Gesetze und Utopien nahmen sich ihrer an. Am Ende der Helvetischen Republik hatten sich die Fronten beinahe schon karnevalesk verkehrt, der Freiheitsbaum hatte alle Widersprüche jener ersten bürgerlichen Revolution auf Schweizer Boden mitgemacht.
Im Schnittpunkt von Volkskultur und obrigkeitlichem Zugriff einerseits, der Hegemonie des revolutionären Frankreichs und einer eigenständigen Revolution andererseits ist das Symbol Freiheitsbaum womöglich noch umstrittener, als es Symbole gemeinhin sind. An ihm lassen sich sozial- und mentalitätsgeschichtlich Beharren und Wandel aufzeigen; er wirft seinen Schatten voraus ins 19. Jahrhundert, aber auch zurück auf ein immer auch sozial deutbares Brauchtum und frühe gesamteuropäische politisch-historische Diskurse.
Am Symbol Freiheitsbaum treffen sich die bäuerliche Forderung nach Abgabenfreiheit, der Hegemonieanspruch des Landbürgertums und die Rhetorik der organisierten Konterrevolution, alle mit ihrem je eigenen Vorverständnis. Was aber politisch nicht unter einen Hut zu bringen war, das konnte es auch symbolisch nicht werden. Am Freiheitsbaum zeigt sich das Aufbrechen des Konsenses und das Scheitern der Revolution. Zurück bleibt auch eine symbolisch veränderte Welt.
Besprechungen
1798 sind in der Schweiz in weniger als 14 Tagen rund 7000 Freiheitsbäume aufgestellt worden. Wilfried Ebert hat dieses aus der politischen Realität verdrängte und von der Forschung nur am Rande beachtete Symbol zum Gegenstand seiner Dissertation gemacht. Dabei konzentriert er sich auf die Jahre 1798­1802, die Zeit der Helvetik. Unter Benützung ungedruckter archivalischer Quellen, vor allem aber durch Auswertung der gedruckten zeitgenössischen Literatur ist der Autor in minutiöser Kleinarbeit den verstreuten Hinweisen auf dieses Symbol nachgegangen. Nach einem kurzen Forschungsüberblick expliziert er in einem ersten Schritt die theoretischen Grundlagen. Ausgehend von strukturalistischen Sprachtheorien zeigt er, dass auch Symbole als nichtsprachliche Zeichen in einem spezifischen Umfeld mit einem bestimmten Regelsystem stehen. Erst wenn Sender und Empfänger eines Zeichens über einen entsprechenden Code verfügen, kann dieses gedeutet werden. Die Deutungskompetenz ist soziokulturellen Lernprozessen zu verdanken, die ­ in Anlehnung an die Studien von Chomsky und Bourdieu ­ mit dem Begriff «Habitus» gefasst werden können. Voraussetzung für das Verständnis bilden bestimmte soziokulturelle Standards, dadurch ist die Deutung eines Symbols auch historischen Veränderungen unterworfen. Die Verwendung von Symbolen durch bestimmte gesellschaftliche Gruppen ist immer in einen sozialen Kontext eingebettet, die ideologischen Diskurse, die Machtverhältnisse und Interessenlagen müssen ebenso berücksichtigt werden wie die damit verknüpften Strategien. Obwohl ein Symbol stets auch Herrschaftssymbol ist, kann es eine Umwertung erfahren und der Delegitimierung von Herrschaft dienen. Dieser theoretische Ansatz erweist sich sowohl für die Strukturierung des Datenmaterials wie auch für die deskriptive Analyse des Phänomens Freiheitsbaum als äusserst fruchtbar. Durch die Verknüpfung der auftretenden Symbolik mit sozialen Prozessen bleibt der Autor nicht nur bei einer Beschreibung der einzelnen Symbole oder Symbolelemente stehen, sondern er versucht, diese mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und sozialen Kämpfen der Epoche in Verbindung zu bringen. Der Freiheitsbaum ist eigentlich ein zusammengesetztes Symbol, es besteht aus zwei Symbolelementen: Hut und Baum. Diese Erkenntnis bestimmt auch den Aufbau der Arbeit. In zwei systematisch gegliederten Hauptkapiteln werden die historischen Ursprünge der beiden Symbolelemente aufgezeigt, schliesslich wird in einem stärker an der chronologischen Entwicklung orientierten Teil die Geschichte des Freiheitsbaums während den verschiedenen Phasen der Helvetik untersucht. Das Hutsymbol lässt sich aus zwei Traditionssträngen herleiten: aus demjenigen des bonnet rouge und demjenigen des Tellenhuts. Der bonnet rouge, der sowohl Elemente des aus der Antike abgeleiteten pileus, des republikanischen Freiheitshuts enthält, vor allem aber aus der traditionellen Kopfbedeckung der Unterschichten hervorgeht, setzt sich mit dem Sturz der Monarchie endgültig durch und wird schlechthin zu einem Zeichen für Antidespotismus und Gleichheit. In seiner Instrumentalisierung durch verschiedene Schichten spiegeln sich die sozialen Kämpfe der Revolution. Die klassische französische Revolutionshistoriographie als Hintergrundfolie verwendend, zeigt der Autor, wie dieses Symbol in verschiedenen Revolutionsphasen aufgegriffen respektive abgelehnt wird. In der Schweiz taucht neben der aus Frankreich übernommenen roten Mütze noch der Schweizerhut auf, der mit einer autochthon schweizerischen Traditionslinie verknüpft werden kann, dem Tellenkult. Dieser hat einerseits eine antifeudale Stossrichtung, indem die altschweizerische Befreiungsmythologie von den frühneuzeitlichen Protestbewegungen instrumentalisiert wird, andrerseits rekurrieren die reformerisch-aufklärerischen städtischen Eliten auf diese Figur, die für sie im Sinne Rousseaus zum Symbol für Sittenreinheit und Naturverbundenheit wird. Indem die oppositionellen ländlich-bürgerlichen Schichten diesen Tellenkult radikalisieren und mit der antifeudalen Befreiungstradition verknüpfen, machen sie Tell zum schweizerischen Revolutionssymbol. Da der Freiheitsbaum ein zusammengesetztes Symbol ist, muss ein weiterer Entwicklungsstrang verfolgt werden, derjenige des Baums. Seine Ursprünge liegen im knabenschaftlich-volkskulturellen Brauchtum, als Ehren- und Schandmaien tritt er schon in vorrevolutionärer Zeit auf. In der bäuerlichen Umgebung ist der Maibaum auch ein Zeichen für Schuldentilgung und wird mit der Forderung nach Abgabenfreiheit verbunden. Der spezifische Zusammenhang zwischen Freiheitsbaum und Maibaum zeigt sich auch in der Ausschmückung, indem fast alle Schmuckelemente wie Zurichtung, Bemalung, Bänder etc. Züge der traditionellen Maibaumtradition aufweisen. Der Autor zeigt, wie diese Elemente vom revolutionären Bürgertum allmählich vereinnahmt und neu interpretiert werden. Dadurch mutiert der von den bürgerlichen Schichten zuerst eher skeptisch aufgenommene wurzellose Baum zum Freiheitsbaum, der ebenso für das Bündnis von Bürgertum und Bauern in der Helvetik steht als auch für die bäuerliche Hoffnung auf Beseitigung der Feudallasten. Während die Kombination von Baum und Hut in den vorrevolutionären Konflikten ­ wie etwa beim Stäfner Handel ­ als vereinzeltes Protestsymbol gegen die überkommene Ordnung auftritt, kommt es anfangs 1798 zur massenhaften und organisierten Verbreitung, teils aus Opportunismus und Furcht vor den anrückendem französischen Invasionsarmeen, teils als Ausdruck einer eigenständigen schweizerischen Umwälzung. Mit der Einführung der neuen Verfassung und der Konstituierung der Helvetischen Republik steht der Freiheitsbaum schlechthin für die Identifikation mit der neuen Ordnung. Damit wird er zum Gefolgschafts- und Herrschaftssymbol. Er gerät aber auch ins Visier jener Bevölkerungsgruppen, welche die Revolution ablehnen oder von ihren Ergebnissen enttäuscht sind. Als in der Spätphase der Helvetik die Zehnten wieder eingezogen werden und der Konsens zwischen bürgerlichen Führern und bäuerlichen Massen aufbricht, bilden sich Widerstandsbewegungen, die erneut auf den Freiheitsbaum zurückgreifen. Allerdings nimmt dieser wieder mehr seine ursprüngliche Gestalt an, nämlich diejenige des Maibaums, der ebenfalls für Abgabenfreiheit steht. Die vom Autor vollzogene thematische Annäherung an das Phänomen Freiheitsbaum über die verschiedenen Symbolelemente bedingt viele Querverweise und Ableitungen aus den disparaten geschichtlichen Traditionssträngen. Diese Exkurse erschweren teilweise etwas die Lesbarkeit der Arbeit. Auch die zur Verifizierung bestimmter Aussagen unvermeidliche Anführung von Quellenzitaten aus verschiedenen Regionen und historischen Ereigniszusammenhängen stellt hohe Ansprüche und setzt mitunter gewisse Vorkenntnisse über die Epoche voraus. Unvermeidlich ist es auch, dass der Bezug auf soziale Bewegungen zu Verkürzungen führen kann, zumal nicht die Aufarbeitung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen während der Helvetik, sondern die Analyse der damit verbundenen Symbolik im Zentrum der Arbeit steht. Ein Beispiel dafür ist etwa die bisweilen etwas undifferenzierte Verwendung der Begriffe «Bauern» respektive «Bürger» oder die universelle Kennzeichnung von Revolten in protoindustriellen Gebieten als bäuerliche Bewegungen. Eine schichtspezifische Aufschlüsselung der Träger dieser Proteste könnte jedoch zu weiteren interessanten Erkenntnissen führen. Diese wenigen kritischen Einwände sollen aber den äusserst positiven Gesamteindruck keineswegs schmälern. Der Autor hat mit seiner Pionierarbeit ein wenig beackertes Forschungsfeld erschlossen und damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Helvetik geleistet. Zudem ist es ihm methodisch überzeugend gelungen, die vielfältigen Bezüge dieses bis anhin kaum beachteten Symbols aufzuzeigen und mit den sozialen Prozessen während der Französischen sowie der Helvetischen Revolution zu verbinden. Dadurch hat er eine üblicherweise eher begriffsgeschichtlich abgehandelte Thematik zu einem interessanten Gegenstand der Sozialgeschichte gemacht. Rolf Graber (Kreuzlingen) traverse ­ Zeitschrift für Geschichte ­ Revue d'histoire 1999 / 01