Über Fremde reden
Überfremdungsdiskurs und Ausgrenzung in der Schweiz 1900–1945
Veröffentlichungen des Archivs für Zeitgeschichte des Instituts für Geschichte der ETH Zürich, Band 4
Gebunden
2003. 271 Seiten, 16 Abbildungen s/w.
ISBN 978-3-0340-0646-0
CHF 48.00 / EUR 32.00 
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Die Thematik der «Überfremdung» hat die politische Kultur der Schweiz im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt. Zahlreiche Volksinitiativen belegen dies ebenso wie die Gründung von politischen Organisationen, die dieses Thema zum programmatischen Schwerpunkt erhoben. Die Art und Weise des Sprechens über Fremde hat Tradition und beeinflusst den Umgang mit Ausländerinnen und Ausländern bis heute. Trotz dieser grossen gesellschaftspolitischen Bedeutung ist kaum bekannt, dass die Entstehungszusammenhänge der Überfremdungsdebatten in der Zeit um 1900 liegen. Auch gestaltete der Überfremdungsdiskurs die schweizerische Politik der ersten Jahrhunderthälfte massgeblich mit, so etwa die «geistige Landesverteidigung» und die antijüdische Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs.
Das Buch spannt den Bogen vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1945. Es analysiert das Wechselspiel von Diskurs, rechtlichen Normen, behördlichem Handeln und wirtschaftlichen Erfordernissen, skizziert die einzelnen Phasen und beleuchtet die wichtigsten Protagonisten. Im Mittelpunkt stehen die zwanziger Jahre, als nach der Gründung der eidgenössischen Fremdenpolizei der Überfremdungsdiskurs eine neue Ausrichtung erhielt. Das Reden über «Fremde» wurde antisemitisch aufgeladen, und die Formen der Abwehr, insbesondere gegen jüdische Flüchtlinge, verfestigten sich lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland. Die Arbeit leistet so auch einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg, indem sie die damalige schweizerische Flüchtlingspolitik aus der Perspektive dieses Diskurses beleuchtet. Zugleich erarbeitet sie das historische Wissen, das aktuelle politische Fragen der Ausländer-, Einbürgerungs- und Flüchtlingspolitik besser verstehen hilft.
Besprechungen
«Überfremdungs»-Rede und Flüchtlingspolitik Schweizerische Kontinuitäten von 1900 bis 1945 Patrick Kurys wichtige Dissertation steht im Zeichen einer brisanten Kontinuitätsthese. «Aus der Perspektive der Überfremdungsbekämpfung gesehen», wird in ihrem Résumé festgehalten, «ist die schweizerische Flüchtlingspolitik der Jahre 1939-1945 nicht eine einmalige Entgleisung, wie gerne behauptet wird. Sie ist vielmehr die logische, wenn auch nicht die einzig mögliche Konsequenz einer auf diskriminierenden Diskursen basierenden Abwehrideologie.» Patrick Kury ist zwar nicht der Erste, der die schweizerische Flüchtlingspolitik der dunklen Jahre vor dem Hintergrund längerfristig wirkender Dispositive interpretiert. Doch vom Zürcher Historiker Stefan Mächler abgesehen hat noch niemand mit der gleichen argumentativen Stringenz die diskursiven Muster freigelegt, die die schweizerische Ausländerpolitik seit dem Ende des Ersten Weltkrieges für mehrere Jahrzehnte geprägt haben. Ideologie der Selektion Ganz im Gegensatz zu der in den Sonntagsreden beschworenen «humanitären Tradition» zielte diese Politik, so die Kernthese der Studie, auf eine nationalistisch motivierte Überfremdungsbekämpfung, die von einem sozialdarwinistischen Auslese-Gedanken inspiriert und nicht frei von antisemitischen Denkfiguren war. Ernst Delaquis, der neue Chef der Polizeiabteilung im Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement, trat im angespannten Klima nach dem Generalstreik mit der bald mehrheitsfähigen Forderung auf: «Wir müssen den fremden Ankömmling auf Herz und Nieren prüfen können. Reiht er sich ein in unser politisches, wirtschaftliches, soziales Staatsgefüge? Ist er hygienisch akzeptabel? Überschreitet seine ethnische Struktur das Mass zulässiger Inadäquanz?» Als in der Schweiz unerwünschte Ausländer bezeichnete der einflussreiche Chefbeamte nicht nur Bolschewisten und Straftäter, sondern auch Arbeitslose, Mittellose, «gemeingefährliche Kranke», «Schieber», «Schnorrer» und «Wucherer». Die in der Folge politisch bedeutsam werdende Unterscheidung zwischen «erwünschten» und «unerwünschten Ausländern» markierte einen Bruch mit der liberalen Einwanderungspolitik der Vorkriegsjahre. Vor dem Ersten Weltkrieg war es das Ziel fast aller Experten gewesen, die Ausländer mittels erleichterter Einbürgerung zu guten Schweizern zu machen. «Assimilation» durch Staatsbürgerschaft hiess die Losung. Im Kontext dieser Debatte tauchte um 1900 die genuin schweizerische Wortschöpfung «Überfremdung» erstmals auf. Bedingt durch Arbeitsmigration erreichte der Ausländeranteil an der schweizerischen Gesamtbevölkerung am Vorabend des Ersten Weltkrieges mit über 15 Prozent den höchsten Wert während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dabei blieb es nicht. Bis 1939 sank der Ausländeranteil auf 5,5 Prozent. Zu monokausal wird diese Entwicklung mit dem Wirken der 1917 vom Bundesrat ins Leben gerufenen Eidgenössischen Zentralstelle für die Fremdenpolizei erklärt - eine Engführung, die aus dem gewählten diskursanalytischen Ansatz resultiert. Konzepte aus der Fremdenpolizei Im Zentrum der Analysen steht die Tätigkeit einer kleinen Gruppe von Beamten in und um diese neue Amtsstelle. Verwaltungsexperten wie Heinrich Rothmund und Max Ruth gewannen einen entscheidenden Anteil an der Neuformulierung der schweizerischen Ausländerpolitik, weil es ihnen gelang, das öffentliche Reden über Fremde zu prägen. Aufgeschreckt durch die vom Ersten Weltkrieg bewirkten Wirren, verfiel man in der Eidgenössischen Fremdenpolizei zunehmend «protektionistischen» Vorstellungen. Ausgehend von diesem Diskurszentrum prägten die in Grundlagenpapieren formulierten Abwehrkonzepte mehr und mehr das Handeln der Politiker. Wie viele andere Staaten in Europa auch schränkte die Schweiz die Freizügigkeit im internationalen Personenverkehr ein, verschärfte die Einbürgerungsbestimmungen und erschwerte die Niederlassung. Mit dem 1931 verabschiedeten Gesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer verfügte das Land erstmals über ein parlamentarisch sanktioniertes Instrument im Kampf gegen die «Überfremdung». Doch die Abwehrpraktiken zielten nicht so sehr auf die zahlenmässig grösste Gruppe der Zugewanderten: auf die Italiener, die in den Fabriken und Grossbaustellen als billige Arbeitskräfte gebraucht wurden. Seit den frühen zwanziger Jahren richtete sich die restriktive Politik überdurchschnittlich stark gegen jüdische Emigranten aus Osteuropa. Die Überfremdungswächter stilisierten die «Ostjuden» pauschal zum Inbegriff des ganz Anderen, die das «Schweizertum» in seiner ethnischen Homogenität bedrohten. An dieser Haltung änderte auch der beispiellose Staatsantisemitismus im Dritten Reich nichts, der Zehntausende von an Leib und Leben bedrohten Juden in die Emigration trieb. Die Eidgenössische Fremdenpolizei nahm die einsetzende Massenflucht nicht als humanitäre Katastrophe wahr. In ihren Augen gefährdete sie vor allem das schweizerische Projekt der Überfremdungsbekämpfung. Nach der durch die Annexion Österreichs ausgelösten jüdischen Fluchtbewegung liess Heinrich Rothmund Bundesrat Johannes Baumann in schöner Folgerichtigkeit wissen: «Wir haben seit dem Bestehen der Fremdenpolizei eine klare Stellung eingehalten. Die Juden galten im Verein mit den anderen Ausländern als Überfremdungsfaktor. Es ist uns bis heute gelungen, durch systematische und vorsichtige Arbeit die Verjudung der Schweiz zu verhindern.» Kurz, die restriktive Flüchtlingspolitik der Schweiz im Zweiten Weltkrieg resultierte nach Patrick Kury letztlich aus einem antisemitisch grundierten Abwehrdispositiv, das in den Berner Amtsstuben bereits in den frühen zwanziger Jahren konzipiert worden war. Die solid gearbeitete Studie mit ihren reflektierten Analysen bestätigt damit eine schmerzliche Erkenntnis der jüngeren Zeitgeschichtsforschung, die in der breiten Öffentlichkeit noch immer nicht in ihrer wahren Tragik zur Kenntnis genommen worden ist. Aram Mattioli Patrick Kury: Über Fremde reden. Überfremdungsdiskurs und Ausgrenzung in der Schweiz 1900-1945. Chronos-Verlag, Zürich 2003. Fr. 48.-, _ 32.-. Neue Zürcher Zeitung POLITISCHE LITERATUR Samstag, 06.03.2004 Nr.55 83 Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der NZZ (c) 1993-2004 Neue Zürcher Zeitung AG Blatt 1

ÜBERFREMDUNGSDISKURS: KONTINUITÄTEN - WIRKUNGSMACHT - AKTEURE PATRICK KURY ÜBER FREMDE REDEN ÜBERFREMDUNGSDISKURS UND AUSGRENZUNG IN DER SCHWEIZ 1900-1945 CHRONOS, ZÜRICH 2003, 271 S., FR. 48.- THOMAS BUOMBERGER KAMPF GEGEN UNERWÜNSCHTE FREMDE VON JAMES SCHWARZENBACH BIS CHRISTOPH BLOCHER ORELL FÜSSLI, ZÜRICH 2004, 304 S., FR. 49.- Der Begriff «Überfremdung» hat in der Schweiz eine in Europa beispiellose Karriere gemacht und bestimmt seit mehr als einem Jahrhundert die Art und Weise, wie «Fremde», MigrantInnen und AusländerInnen, wahrgenommen werden und wie mit ihnen umgegangen wird. Noch Mitte der 1990er-Jahre hat ein heutiges Mitglied der Schweizer Regierung vor einer Zunahme der «Überfremdung» im Falle eines EU- Beitritts gewarnt. Wenn auch in den letzten Jahren der Begriff in öffentlichen Debatten immer weniger zu finden ist, beeinflussen das vielseitig verwendbare Bedrohungsbild der «Überfremdung» und die damit verbundenen diskriminierenden Vorstellungen unterschwellig weiterhin manche Entscheidungen von Behörden, PolitikerInnen und StimmbürgerInnen in der Migrationspolitik. Der Historiker Patrick Kury hat mit seiner Studie die Entwicklung des Überfremdungsdiskurses von der Wende bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts nachgezeichnet, wobei er sich vor allem auf die Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und der Mitte der 1920er-Jahre konzentriert. Wie er betont, spricht einiges dafür, dass es sich beim Begriff «Überfremdung» um ein schweizerisches Produkt handle. Auf Grund seiner dialektischen Funktion ermöglicht der Überfremdungsbegriff «bis heute eine Selbst- und Fremddefinition des ÜSchweizerischenÝ und dient während Krisenzeiten immer wieder als gesellschaftliches Bindemittel». (215) Wie Kury belegt, waren die €ngste vor einer vermeintlichen «Überfremdung» in jener Phase am stärksten, in welcher der Anteil der in der Schweiz lebenden AusländerInnen den tiefsten Stand des gesamten Jahrhunderts erreichte. Kury beschreibt zunächst, wie schweizerische Intellektuellenkreise im Zuge des wiederbelebten radikalen Nationalismus in Europa vor dem Ersten Weltkrieg erstmals Konzeptionen des Überfremdungsbegriffs entwarfen. Wie bereits andere historische Studien zu Rechtsintellektuellen und Kulturzeitschriften der Jahrhundertwende zeigen, wurde die «Fremdenfrage» zusehends mit der Debatte um das nationale Selbstverständnis der Schweiz verbunden. Während die Ausländerfrage «von Anbeginn durch den eher emotionalen, essenzialistisch- romantisch geprägten Identitätsdiskurs mitbestimmt» war, (47) ermöglichte «das Reden über Üdie FremdenÝ eine Selbstbestimmung ex negativo» und diente «als eines der Instrumente der nationalen Homogenisierung». (48) Dies kontrastierte in den 1910er-Jahren jedoch noch mit der Migrationspolitik der Behörden, die weit gehend durch eine liberal-inklusive Haltung geprägt war, vor allem in Diskussionen um die Einbürgerungsfrage. Zum Beispiel spielte in der Forderung nach erleichterter Einbürgerung, die auch die Option des jus soli enthielt, der rechtlich-republikanische Gedanke mit, dass Einbürgerung Vorbedingung und nicht Ergebnis einer «Assimilation» sei. Das Neben- und Miteinander der «Fremdenfrage» und des Diskurses über nationale Identität leitete dann «die essentialistische Wende hin zum Überfremdungsdiskurs während des Ersten Weltkriegs» (71) ein. So veränderte sich mit dem Krieg in der Schweiz wie in allen europäischen Ländern der Umgang mit Migrantinnen und Migranten grundlegend und führte zu einem ausgeprägten kulturellen und wirtschaftlichen Protektionismus. Indem die Frage nach dem «Wesen der helvetischen Gemeinschaft» und die Hinweise auf die begrenzten Assimilationsmöglichkeiten der Schweiz eine zentrale Rolle zu spielen begannen, ging es nun nicht mehr nur um quantitative, sondern auch um qualitative Aspekte der Immigration, welche mit kulturalistischen oder gar «rassischen» Argumenten untermauert wurden. Wie Kury bemerkt, fanden diese Diskussionen auf unterschiedlichen Ebenen statt und wurden von mehreren staatlichen Institutionen unter Beteiligung verschiedener Akteure geführt. Dabei interessiert Kury in erster Linie der Expertendiskurs, getragen von einigen eng miteinander arbeitenden Juristen. Dazu gehörten, um nur die einflussreichsten zu nennen, Ernst Delaquis, von 1919 bis 1929 Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung und Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Bern, Walther Burckhardt, renommierter Staats- und Völkerrechtler und Mitglied verschiedener Expertenkommissionen, Max Ruth, von 1920 bis 1944 erster Adjunkt der eidgenössischen Polizeiabteilung, und Heinrich Rothmund, von 1919 bis 1929 Leiter der Fremdenpolizei und danach Chef der eidgenössischen Polizeiabteilung. Geprägt von sozialdarwinistischen und zum Teil «rassischen» und völkischen Vorstellungen und oftmals in eine biologistische Sprache gekleidet, entwickelte sich der Überfremdungsdiskurs in den 1920er-Jahren zum eigentlichen Abwehr- und Ausgrenzungsinstrument in der Zulassungs- und Niederlassungspolitik gegenüber AusländerInnen. Dabei vermischten sich nicht nur kulturelle und soziale Argumentationen, sondern es kam auch vermehrt zu einer Koppelung von Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik. Die so genannte «Auslese» wurde zum zentralen Begriff in der Migrationspolitik, was auch «das Eindringen von diskriminierenden Diskursen mit antisemitischem, ethnisch hierarchisierendem und biologistischem Gehalt» (212) und von Texten zu Degenerationstheorien aus Medizin und Psychiatrie ermöglichte. Wie elastisch und flexibel einsetzbar der Überfremdungsbegriff war, verdeutlicht der diskriminierende Diskurs gegenüber Juden, insbesondere Ostjuden, der seit dem Erstarken des Antisemitismus mit der essenzialistischen Wende im Ersten Weltkrieg fester Bestandteil des Bedrohungsbildes der Überfremdung wurde. Wie Kury weiter zeigt, ist der Diskurs der Ausgrenzung auch ganz konkret in diskriminierende Praxen eingeflossen. So beteiligten sich die massgeblichen Verfechter des behördlichen Kampfes gegen die «Überfremdung» an vorderster Front an der Ausarbeitung des Bundesgesetzes über «Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer» (ANAG), das 1931 in Kraft trat und noch heute gültig ist. Auch die Flüchtlingspolitik nach 1933 ist als Fortführung der Überfremdungsbekämpfung zu sehen, wobei insbesondere die Kontinuität antisemitischer Stereotype und Bedrohungsbilder auffällt. So konnte der «neutral klingende Begriff der ÜÜberfremdungÝ [...] teilweise genutzt werden, um unter diesem Namen eine antisemitische Flüchtlingspraxis zu betreiben». (214) Mit anderen Worten, der anhaltende Überfremdungsdiskurs trug zur «Verschweizerung des Antisemitismus» (Jacques Picard) bei, was zwar vordergründig eine Abgrenzung vom «rassisch»- biologischen Antisemitismus des Nationalsozialismus ermöglichte, doch in letzter Konsequenz erlaubte, antijüdische Vorurteile weiterzutransportieren und in die schweizerische Flüchtlingspolitik einfliessen zu lassen. Kurys Studie ist anzurechnen, dass sie die Verantwortlichen der Diskurse mit biografischen Angaben kontextualisiert und so zum Teil jenes Defizit vermeidet, das diskursanalytischen Studien oft anhaftet. Jedoch vermisst man einen stärkeren Einbezug parteipolitischer Aspekte und entsprechender ideologischer Referenzsysteme. Es wäre zum Beispiel interessant zu wissen, ob sich eine allfällige Parteimitgliedschaft der Sprechenden auf deren Diskurse ausgewirkt hat und ob bei den einzelnen politischen Parteien eher Kontinuitäten oder Wandel im Umgang mit den «Fremden» zu beobachten sind. Doch insgesamt zeigt Kury anschaulich, dass «soziale Orte» (85) wie staatliche Institutionen und parastaatliche Organisationen nicht nur auf die Ab- und Ausgrenzungssemantiken in öffentlichen und politischen Debatten, sondern auch auf policy making und policy implementation einen nachhaltigen Einfluss hatten. Thomas Buombergers Buch setzt zeitlich teilweise dort an, wo Kury aufhört, indem es sich auf die Überfremdungsbekämpfung und die damit zusammenhängenden politischen Auseinandersetzungen seit den 1960er-Jahren konzentriert. Während Kury die zentrale, diskursleitende Rolle der «Überfremdungstheoretiker» beleuchtet, stellt der Historiker und Journalist Buomberger die politischen Parteien und ihre Leader in den Vordergrund. Dabei drängt sich aber die Frage auf, wo nach dem Zweiten Weltkrieg die Intellektuellen und Vordenker der Identitäts- und Überfremdungsdiskurse geblieben sind und welche Rolle die Ende der 1960er-Jahre aufkommenden Vertreter der Neuen Rechten in der Schweiz gespielt haben. Auch methodisch ist Buombergers Studie ergänzend zu Kurys Arbeit, da er neben Parteiquellen, Presseberichten und biografischem Material anhand von Interviews und Berichten von Zeitzeugen die Sicht der Betroffenen, der Migrantinnen und Migranten, einbezieht. So kommt es in mancher Hinsicht zu einem anregenden Perspektivenwechsel, der vom Expertendiskurs bei Kury zum Alltagsdiskurs bei Buomberger führt. Wie Buomberger einleitend zu Recht feststellt, war die Schweiz «das erste Land in Europa, in dem eine fremdenfeindliche Bewegung eine grosse Gefolgschaft fand». (13) Der Autor stellt zunächst dar, dass sich die Bewegung nicht nur auf eine lange Tradition des Überfremdungsdiskurses in der Schweiz stützen konnte, sondern dass der zumindest diskursive Sukkurs auch aus Teilen der Gewerkschaften und Sozialdemokratie kam. Gewerkschaftlichen Kreisen ging es zum Beispiel bereits ab 1961 «nicht mehr um eine Limitierung des Ausländerbestands als konjunkturelle Steuerungsmassnahme, sondern um eine kulturprotektionistische Abwehr gegen die ÜÜberfremdungÝ». (38) Dieser Aspekt des Überfremdungsdiskurses ist bisher in der schweizerischen zeitgeschichtlichen Forschung nur wenig berücksichtigt worden, obwohl die Analyse von ideologischen und politischen Kontinuitäten vielleicht mehr Erkenntnisse liefern könnte als die viel zitierte These vom «Aufstand der Modernisierungsverlierer» beziehungsweise, wie es bei Buomberger heisst, vom «Protest der Verunsicherten».(165) Auch Buomberger weist auf die starke Bedeutung des Bedrohungsbildes «Überfremdung» im Diskurs der Behörden hin, am besten verdeutlicht im 1965 veröffentlichten Bericht der «Studienkommission für das Problem der ausländischen Arbeitskräfte». Zudem nahm der Bundesrat eine ambivalente Haltung ein, indem er einerseits eine liberale Politik in der Arbeitsimmigration verfolgte, andererseits regelmässig beteuerte, er verstehe die Überfremdungsängste und wolle sich für eine Stabilisationspolitik einsetzen. Der Überfremdungsbewegung gelang es, nicht nur dieses politische Klima, sondern vor allem auch die institutionellen Opportunitätsstrukturen der direkten Demokratie zu nutzen. Mit verschiedenen Initiativen übten die Nationale Aktion und die Republikanische Bewegung in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre in der Migrationspolitik beharrlich Druck auf die Regierung aus, was auch unmittelbare Folgen zeitigte. Zum Beispiel präsentierte der Bundesrat kurz vor der Abstimmung über die Schwarzenbach-Initiative Massnahmen zur Globalplafonierung, die von der …ffentlichkeit «einhellig begrüsst und als indirekter Gegenvorschlag interpretiert» wurden. (143) In Buombergers Buch spielt James Schwarzenbach die zentrale Rolle, und so ist der Hauptteil dem ersten rechtspopulistischen Leader der Nachkriegsschweiz gewidmet. Schwarzenbach war es gelungen, sich nicht nur «vom geschnittenen Aussenseiter im Parlament zu einem der respektiertesten Politiker» (120) zu mausern, sondern auch geschickt die Medien zu nutzen, insbesondere das damals stark expandierende Fernsehen. Andererseits scheute Schwarzenbach, der nach eigenen Aussagen gegenüber der Stadtpolizei Zürich Anfang der 1930er-Jahre Mitglied der Nationalen Front gewesen war, (100) nicht den Kontakt zu ehemaligen Nationalsozialisten wie Franz Riedweg oder Neofaschisten wie Gaston-Armand Amaudruz. In weiten Teilen seiner Ausführungen zu Schwarzenbach stützt sich Buomberger - stellenweise sehr nahe am Original - auf eine von Isabel Drews 1999 verfasste Lizentiatsarbeit zur politischen Laufbahn und Ideologie Schwarzenbachs, die seit kurzem nun auch in Buchform vorliegt. Buomberger ist ein wichtiger Beitrag zur Nachkriegsgeschichte des Schweizer Rechtspopulismus gelungen. Doch vermisst man in erklärungstheoretischer Hinsicht eine noch stärkere Orientierung an der internationalen Rechtspopulismusforschung. Auch der von Buomberger verwendete Begriff «Nationalkonservative» steht im internationalen Vergleich alleine da. Die oft synonyme Verwendung der Begriffe «Rechtspopulisten», «Neue Rechte» und «Nationalkonservative» schmälert zudem die konzeptuelle Kohärenz der Studie. Schliesslich ist der Buchtitel irreführend, da er insinuiert, es handle sich um eine Untersuchung des Überfremdungsdiskurses der letzten 40 Jahre, der von James Schwarzenbach bis Christoph Blocher reiche, und damit um eine Analyse der überaus vielfältigen parteipolitischen und ideologischen Entwicklung des schweizerischen Rechtspopulismus. Das Buch konzentriert sich aber hauptsächlich auf die 1960er- und 70er-Jahre und geht zum Beispiel nur wenig auf den Transformationsprozess der Schweizerischen Volkspartei seit Anfang der 1990er- Jahre ein. Die Arbeiten von Patrick Kury und Thomas Buomberger reihen sich in die in den letzten Jahren zunehmende Forschung zur Frage nach diskriminierenden Ideologien und Praxen in der Schweiz ein. Auf Grund zahlreicher Quellen, aber mit unterschiedlichen theoretischen und methodischen Zugängen zeigen die beiden Autoren eindrücklich auf, mit welcher Kontinuität der Überfremdungsbegriff von verschiedenen Akteuren verwendet wurde und welche Wirkungsmacht er auf die schweizerische Migrationspolitik im 20. Jahrhundert ausübte. Damir Skenderovic (Freiburg/Zürich) Traverse